Ich muss gestehen, Jugendwörter und Jungendsprache habe ich – selbst in adoleszentem Alter – lediglich aus einer passiv-aggressiven Perspektive erlebt. Aus irgend einem Grund sträubte und sträubt sich jede Zelle meines Wernicke-Zentrum in Übereinstimmung mit dem Broca-Areal jegliche Fragmente dieser linguistischen Unfälle in mein eigenes Vokabular aufzunehmen oder zu artikulieren. Trotz allem finde ich dieses Phänomen und das damit verbundene Ritual ein Jugendwort des Jahres zu wählen durchaus faszinierend…aus der Perspektive eines Schaulustigen bei einer Totalkarambolage. Man weiß, man soll und will eigentlich weitergehen, muss dann aber trotzdem hinschauen nur um die Erkenntnis zu gewinnen, dass man dies lieber nicht getan hätte.
Aber auch aus einer vom Hohen Ross herabschauenden Position lässt sich eine deutliche Veränderung an der eigenen Reaktion auf die Entwicklung des Niveaus von Jugendwörtern und deren Alpha-Vertretern beobachten. War es anfänglich – also in den 00er Jahre – eher ein „Naja, gut, wenn Ihr meint“, ein sogenanntes kleines WTF, so hat sich diese eher zu einem übergroßen megalithischem WTF entwickelt. Und mit einem eben solchem Gewicht fällt diese Erkenntnis einem jedes Jahr wieder auf die Füße.
Schaut man auf die ersten Iteration der Wahl zum Jugendwort des Jahres, fällt dem herabschauenden Rezipienten noch ein nicht unerhebliches Maß an Kreativität bei der Rekombination von Vokabular und Semantik auf. Hier seien so großartige Konstruktionen wie Gammelfleischparty, Bildschirmbräune, Niveaulimbo, Arschfax oder auch der Bankster (ein Konstrukt aus Banker und Gangster) genannt. Worte, die als solches auch zu erkennen sind und mit etwas gutem Willem und ein wenig Toleranz als solche für den allgemeinen Sprachgebrauch verwendbar wären ohne eine weitreichende Neudefinition des Begriffes Sprache zu erfordern.
Aus irgend einem nicht ganz ersichtlichen Grund ändert sich dies ab ca. 2012 schlagartig, und das hat garantiert nichts damit zu tun, dass wir seit den 10er Jahren eine pandemisch anmutende Ausbreitung an fragwürdigen Social Media-Plattformen und noch fragwürdigeren Inhalten darauf erleben dürfen. Ohne jetzt diese Begebenheit genauer zu sezieren, so fällt doch signifikant auf, dass sich Jugendwörter ab diesem Zeitpunkt eher zu Jugend“lauten“ bis hin zu an Gegrunze erinnernde Gebilde entwickeln. Während man allerdings mit „Yalla!“ und „Hayvan“ zumindest noch grundlegende Fremdsprachenkenntnisse erwerben kann, war und ist spätestens bei „I bims„, „sheesh„, „isso„, „bae“ und dem diesjährigen Gewinner „das Crazy“ und dem Drittplatzieren „checkst du“ die Grenze des intellektuell Erfassbaren deutlich überschritten. Vielleicht liegt es darin begründet, dass die Jugend heutzutage mehr mit „goonen“ (Platz 2) beschäftigt ist, als sich mit dem adäquaten Gebrauch und Erwerb von Sprache auseinander zu setzen (offensichtlich wird also mehr masturbiert als artikuliert), oder aber in der Tatsache, dass man immer weniger von Angesicht zu Angesicht kommuniziert (wie auch, wenn man ständig goont), sondern nur über und durch digitale Ersatzkanäle. Kommunikation funktioniert laut Wazlawik ja nur, wenn Sender und Empfänger sich auf einen gemeinsamen Code geeinigt haben. Dahingehend ist es durchaus Beeindruckend, dass diese an Ambiguitäten kaum zu übertreffenden mit Minimalsilben und ohne nötigen Artikelballast ausgestatteten Kurzlaute scheinbar den kommunikativen Erfordernissen der jeweiligen Generation genüge tun können. Oder auch nicht, denn wenn man mal die Gegenprobe macht, also die Betroffenen und („Hey Du bist voll das“) Opfer auf die Semantik dieser Konstrukte anspricht, so erhält man als Antwort oft ein nonverbales Schulterzucken und die Information, dass man das halt so sagt. Eine Definition, was das denn nun bedeuten mag, scheitert nur zu gerne an einem mangelnden Wortschatz.
Der geneigte Leser wird sich jetzt Frage: „Yalla! Was genau ist Dein Problem Babo? Irgendwann verwächst sich das.“ Dem würde ich gerne zustimmen können, alleine die Realität ist eine andere. Die Menge an Wörtern im allgemein verwendeten Wortschatz hat sich die letzten Dekaden über nachweislich verringert ebenso wie das Verständnis komplexer(er) Syntax. Wer sich den „Spaß“ macht, eine Nachrichtensendung oder Zeitungsberichte aus grauer Vorzeit zu lesen, sich eine Bundestagsdebatte oder Interviews aus den 70er, 80er und teilweise auch der90er Jahren des letzten Jahrtausends zu Gemüte führt, der wird feststellen, dass sich Duktus, Komplexität und Menge im wörtlichen und schriftlichen Sprachgebrauch durchaus verändert haben. In den 90ern erfand man Nachrichten für Kinder (Logo) mit simplifiziertem Sprachgebrauch, heute ist dieser Sprachgebrauch der allgemeine Standard. Selbst die Jungendwörter, welche nicht unbedingt aufgrund der vorher genannten Attribute aus sprachlicher Sicht glänze, haben dass bisschen Komplexität und Kreativität, welche sie bis vor 15 Jahren noch hatten, fast vollständig eingebüßt.
Jaja, jetzt kommen gleich die sprachwissenschaftlichen Totschlagargumente, und diese lauten „Sprache verändert sich halt und ist spiegelt immer den Einfluss ihrer Zeit wieder.“ Da sage ich: Absolut! Und mit dem Argument schießt man sich halt selber ins Knie. Wenn in einer sich vorgeblich immer weiter entwickelnden und komplexer werdenden Welt, das Werkzeug zur Beschreibung eben dieser immer stumpfer(!) und unhandlicher wird, sozusagen sich vom Multitool zurück zum Faustkeil entwickelt, dann weiß man mit einer gewissen Sicherheit, wo die allgemeine Reise hingeht. Und wenn Jugendwörter oder Jugendunwörter nicht mehr aus kreativen Kofferwörter, Metaphern, Reinterpretationen oder originellen Lehnwörtern bestehen, sondern mehr oder weniger aus gruseligen Maximalabbreviationen, Grunzlauten und sich in ihrem Klang und Inhalt eher nach der Kenntnis einer Sprache auf A1-Niveau anhören, dann mag man dem geneigten Ranter zwar unterstellen, diesbezüglich absolut intolerant zu sein, aber der hier vor sich Hinrantende sieht darin doch ein gewisses Maß an Bankrotterklärung an die grundlegenden Fähigkeiten des Sprachgebrauches und eine kreativen Umgangs mit Sprache an sich.
In diesem Sinne:
„Digga, hoffentlich wird’s nicht noch mehr lost als es schon cringe ist.“ (frei nach Karl Valentin)
