Ist das noch Lifestyle oder kann das weg

“Oha!” wird der ein oder andere denken, “ein Blog-Eintrag, welcher sich mal nicht um Sport dreht. Wie kömmts und ist Alles in Ordnung mit Ihm?” Dem Leser sei versichert, dass es dem Schreiberling gut geht und in der Tat auch der Sport in diesen Zeilen seinen Platz finden wird – wenn auch weniger und vermutlich ganz anders, als man im ersten Moment vermuten mag.

Wer mich kennt weiß, dass ich neben vielen anderen lustigen Beschäftigungen auch einen Hang zu düsterer und meistens elektronischer Musik habe und mich seit nun fast zwei Jahrzehnten mal mehr und mal weniger intensiv (in den letzten Jahren eher weniger) in der entsprechenden Szene herumdrücke. Wie man diesen Haufen nun auch nennen mag, ob Gruftis, Gothics, Schwarzvolk, soll für das hier Folgende eine eher untergeordnete Rolle spielen und ist eigentlich auch nicht relevant.
Was hingegen eine wesentlich größere Rolle spielt, ist die Tatsache, dass ich gerne beobachte: Menschen, Strömungen, Entwicklungen, etc… und davon hat eben jene Szene in den letzten Jahren doch so einige hervorgebracht. Über viele wurde bereits ausführlich geschrieben, geflucht und gelästert (Cyberpuschels und Einhörner auf Festivals und in Clubs, musikalische Desaster wie den Grafen, usw.) und einiges davon ist auch der Grund, warum ich inzwischen große Festivals eigentlich meide – wenn nicht gerade musikalische Gründe dagegen sprechen. Das schließt auch das Wave Gotik Treffen nicht aus, dessen letzter Besuch bei mir aus dem Jahre 1997 datiert und das ich in all der Zeit immer nur aus der Ferne betrachtet und mir gerade in den letzten Jahren meinen Teil gedacht habe. Vermutlich wäre es auch dabei geblieben, wenn sich die Veranstalter nicht zum 25 jährigen Bestehen eben jenes Festivals den größten Hirnfurz erdacht hätten, den es seit jeher gab und bei dem sich im Nachhinein bei mir der Wunsch einstellte, dass mit dem Bankrott des Festivals im Jahre 2000 dieses auch besser in die ewigen Jagdgründe eingegangen wäre: Eine Eröffnungsfeier im Vergnügungspark Belantis.
Ein Festival(beginn) in einem Vergnügungspark, mit Achterbahnen, Zuckerwatte und jeder Menge kurzweiligem Amusement…….also mit Allem, was die Szene einst vermeiden und vor dem sie entfliehen, zu dem sie einen Kontrapunkt setzen wollte und dass, sowohl mit ihrer Musik, mit ihrer Lebenseinstellung und auch durch ihr Äußeres.
Jetzt bin ich der Letzte, der irgend jemandem irgendwo Spaß absprechen will und natürlich spricht absolut nichts dagegen, dass auch das gemeine Dunkelvolk sich in Achterbahnen den Mageninhalt aus dem Leibe fährt und sich rosa Zuckerwatte ins Gesicht klebt. Aber nicht bei einem Festival, welches eine ganz bestimmte Subkultur feiert. Dieses mit genau dem Gegenteil zu eröffnen, was diese Subkultur eigentlich hat entstehen lassen, ist wohl purer Hohn – und das Lustige ist, viele merken nicht einmal, wie sie hier verspottet werden (und NEIN, dass geht auch nicht als Satire durch, auch nicht in der aktuellen politischen Weltlage).

An der Stelle stellt sich mir dann immer eine bestimmte Frage (meist, nachdem ich ausführlich über die Tatsachen gewütet und gewettert habe): Warum und vor Allem wieso? Wie konnte es dazu kommen und warum lassen sich die Leute sowas bieten? Der Resonanz nach zu urteilen, scheint eine solche Idee auf fruchtbaren Boden zu fallen.

Wenn man ein paar geistige Schritte zurücktritt und nach den Gründen sucht, wird man doch recht schnell fündig. Das die Szene zu einer Karnevalsveranstaltung verkommen ist, und viele, die heuten in den Clubs zu vermeintlich düsterer Musik tanzen, kaum noch etwas mit der eigentlichen Idee dahinter zu tun haben, ist denke ich eine triviale Erkenntnis. Das Warum ist ein gerne und lang diskutiertes Thema unter alten Szene(wider)gängern und wird bei hochprozentigen Abenden gerne ausführlich diskutiert.
Dabei ist die nahe liegende Antwort eigentlich so und fast schon zu einfach:
Man erklärt skurrile Dinge einfach zum Lifestyle und vermarktet sie. 

Ja, doch, so einfach ist es, nicht mehr und nicht weniger. Die Grufts und Goths waren bis Ende der 90er ein von Außen misstrauisch beäugter Haufen. Wir haben uns als “Satanisten” auf der Straße anpöbeln lassen müssen, es war verdammt schwierig irgendwelchen Club-Besitzern zu erklären, was wir denn dort für Parties mit seltsamer Musik feiern wollten und selbst der leichteste Touch Szeneoutfit führte in tagtäglichen Situationen zu allerhand Diskussionen.
Doch dann kam irgend ein (oder vielleicht doch mehrere) findiger Werbemensch auf die Idee, “düster” zu einem Lifestyle zu erklären und diesen zu vermarkten und Schwupps… schon war es chic sich in solchem Outfit sehen zu lassen und der Schritt bis zu dunklen Edelboutique war schnell gegangen. Plötzlich liefen Musikgruppen auf TV-Sendern, die es vorher mit Mühe und Not auf kleine alternative Radiosender geschafft hatten und das düstere Outfit war Mainstream und konnte vielfach auch bei Popsternchen und gecasteten Boygroups beobachtet werden. Ein “Warum” war nicht mehr nötig, Musik verkam zur Nebensache und man konnte mit der nach außen getragenen Skurrilität richtig Geld verdienen.

Interessanterweise funktioniert dieses Konzept bei sehr vielen skurrilen und abstrusen Dingen, aber richtig Bewusst (und hier kommt dann doch wieder ein wenig der Sport ins Spiel) wurde mir dies erst, als ich Anfang des Jahres in einem Interview mit dem neuen Ironman Europe Chef Hans-Peter Zurbrügg folgenden Satz las: “Ein Ironman-Finish ist die Spitze der Lifestyle-Pyramide”.
Und da fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren: Klar, wenn man logisch drüber nachdenkt, ist die Idee 3,8 Kilometer zu schwimmen, 180 km Rad zu fahren und dann noch einen Marathon zu laufen, absolut nicht zu vermarkten, denn die Zielgruppe für eine solche Absurdität ist extrem überschaubar und klein, also nichts, womit man erstmal viel Geld verdienen könnte. Wenn man allerdings einen Lifestyle daraus macht und diesen als chic und elitär vermarktet, dann erreicht man ganz schnell riesige Absatzzahlen und kann damit eine ganze Industrie befeuern.

Nebenher entstehen dann auch noch solche Auswüchse wie die speziellen Manager-Startnummern beim Frankfurt-Marathon, die jedem ins Gesicht schreien sollen: “Seht her, ich bin Manager, habe den Längsten und bin hart genug einen Marathon zu finishen”.
Da ist es nur recht und billig, dass sich solche Errungenschaften bei Bewerbungen in Lebensläufen wiederfinden, zeigen sie doch, zu welchem erlesenen Kreis man zählt.

Abseits dieser zwei Beispiele aus meinem näheren Dunstkreis, ließe sich diese Liste mit Lifestyleprodukten beliebig lang fortsetzen, sei es das richtige Dating-Portal, bei dem man seinen Partner kennen gelernt hat (“Sag mal, Du hast Deinen doch hoffentlich bei elite-partner.de kennengelernt” – “Öh nö, der ist mir zugelaufen”) oder Hipster, die ihre (meist zwar teuren aber zum Fahren völlig unbrauchbaren) Fahrräder nur durch die Gegend schieben, weil das so muss.

Von den Irrungen und Wirrungen der alternativen Lebensmittelindustrie will ich erst gar nicht anfangen. Ja, auch vegetarisch/vegan wird als Lifestyle vermarktet! Auch wenn viele da draußen dass jetzt so gar nicht gerne hören. Aber bevor hier irgend jemand einen Shitstorm los tritt, es geht nicht um die Lebensweise, sondern um die Art, wie es verkauft und an den Mann/die Frau gebracht wird. Zu dem Thema würde vermutlich ein einzelner Beitrag gar nicht ausreichen.

Mache einen Lifestyle draus und Du hast die Lizenz zum Geld drucken. Musik und Outfits für die Düsterszene, teure Sportevents und ein Überangebot an überteuertem und teilweisen sinnlosem Equipment für die Elitesportler, tausend vegane Fertigprodukte zu utopischen Preisen für den gewissensgeplagten Alternativernährer, Mitgliedsgebühren für Datingbörsen, die jenseits jeder Rationalität liegen…………….und so weiter und so fort.

An der Stelle vielleicht noch eine wichtige Anmerkung: Lifestyle ist für mich NICHT gleichbedeutend mit Lebenseinstellung, Lebensweise oder eigenen Richtlinien und Überzeugungen, denn diese werden meines Erachtens nicht so exhibitionistisch in die Welt herausposaunt sonder für sich selbst gelebt und erlebt.
Wenn man dies aber nicht kann, weil man nicht in der Lage ist, seine eigene Identität, eigene Stärken oder Grundsätze für sich zu definieren und zu finden, dann greift man halt zu etwas Vorgefertigtem, etwas was bereits gestylt und markterprobt ist und vor allem etwas, was man sich mit Geld kaufen und vorzeigen  kann.

Genau betrachtet ist Lifestyle also nur eines: ein Synonym für den sozialen Schwanzvergleich!

In diesem Sinne…