Am Abgrund der Dummheit oder die unerträgliche Leichtigkeit der Dysfunktionalität

Ein altbekanntes Sprichwort weiß, dass Aufgeschoben nicht gleich Aufgehoben ist und nachdem mir im letzten Jahr kurz vor Redaktionsschluss des traditionelle Rants eine thematische Steilvorlage geliefert wurde, kann ich mich nun dieses Jahr dem eigentlich geplanten Thema 2023, nämlich den Zustand unseres Landes, widmen.

Nicht, dass es so kurz vor Jahresende an frischen Steilvorlagen gemangelt hätte von denen jede Einzelne es verdient hätte, in einen wutbürgerlichen Vorschlaghammer verwandelt zu werden. Die allgemeine und auch die spezielle aktuelle Situation gebietet es jedoch, nicht mehr ein einzelnes Ärgernis zu sezieren, sondern die Kettensäge zu befüllen (mit fossilem Brennstoff natürlich) und die aktuelle Gesamtsituation in grobe Stücke zu zerlegen. Nicht, dass es was ändern würde, aber es befreit natürlich ungemein und hinterlässt optisch ein weitaus beeindruckenderes Ergebnis als die metaphorische Laparoskopie.

Jetzt stellt sich dem Autor – also mir – natürlich die Frage, wo anfangen? Ganz im Gegensatz zu meinen üblichen Gewohnheiten werde ich dieses Jahr am hinteren Ende des Irrsinns beginnen und mich Schritt für Schritt – sofern das marode Fundament mich inhaltlich noch trägt – Richtung „Anfang“ vorarbeiten. Einfach weil ich es kann…

Also widmen wir uns zuerst den Geschehnissen in und um unser Gesundheitssystem herum, welches zum Jahresende noch einmal ordentlich Zündstoff produziert hat. Nicht nur, dass die Beiträge zum neuen Jahr völlig überraschend „mal wieder“ angepasst werden müssen (wobei „angepasst“ interessanter Weise immer und ausschließlich „erhöht“ bedeutet), nein, ganz plötzlich fällt Gesundheits-Kalle drei Monate vor vorzeitigem Amtsende ein, dass die Ungleichbehandlung privater und gesetzlich Verunsicherter durchaus harsch zu kritisieren sei. Also verbal…in Talkshows und Zeitungsartikeln…und so…

Da stellt sich dem gemeinen Beobachter natürlich die Frage, wer denn den Hut für Veränderungen im Gesundheitssystem auf dem Haupte trägt und mich beschleicht das Gefühl, dass es sich dabei nicht um Lothar Matthäus handelt. Vielleicht tue ich dem Herrn auch unrecht und entsprechende Maßnahmen um diese Situation etwas zu „verbesser“ waren für die letzten sechs Monate der Legislaturperiode angedacht und nun können diese aufgrund eines Regierungsprolaps (zu dem Thema später mehr) leider nicht mehr aktiv angegangen werden.

Überhaupt stellt sich die Frage, ob unser Gesundheitssystem noch andere Leistungen vollbringen kann, außer regelmäßig teurer zu werden, denn die Performance ist im Vergleich zu den Kosten eher als Überschaubar einzustufen mit stark abknickender Tendenz nach unten (bei der Performance natürlich, nicht bei den Kosten). Gerne wird in diesem Zusammenhang auf die Vorteile, welche wir gegenüber anderen Ländern haben, hin gewiesen, ganz vorne dabei natürlich die FREIE ARZTWAHL, ein Spezialkonstrukt Made in Germany. Die Realität unterscheidet sich hier leider frappierendst vom Wunschdenken. Jeder gesetzlich Versicherte weiß davon ganze Opern zu singen. Wer einen neuen Hausarzt sucht stellt schnell fest, dass dies sich langwieriger gestalten kann, als in der Deutschen Demokratischen Republik einen Trabi bestellt oder einen Telefonanschluss beantragt zu haben. Prinzipiell sind nämlich alle Hausärzte erst mal VOLL Also mit Patienten! Was den Intoxikationslevel diverser Allgemeinmediziner angeht, will ich mir kein Urteil erlauben. Und wenn man nicht geraden mit dem Kopf unterm Arm die Praxis-Räumlichkeiten betritt und hochoffiziell auf Äskulap schwört, dass man nicht mehr in der Lage ist auch nur einen Schritt weiter zu gehen, dann bleibt einem die Aufnahme in die heiligen Hallen des Patientenstammes verwehrt. Das hat mit irgend einer Wahl nichts mehr zu tun.

Über die Situation von Fachärzten muss man sowieso kein Wort mehr verlieren, denn die Wahl hier beschränkt sich auf „kann einen Termin haben, kurz bevor das nächste Erdzeitalter anbricht“ und „schaffe ich vor meiner Beerdigung nicht mehr“.

Man nimmt als Siechender alles was man kriegt, wählen kann wer Kohle auf den Tisch legt. Zusätzlich zu den Monetas, die man eh schon ins System gepumpt hat versteht sich.

Dann wäre da noch diese Sache mit der EPA, also der elektronischen Patientenakte, welche aber im Gegensatz zu dem nicht verwandten EPO überhaupt nicht leistungssteigernd wirkt, dafür aber am Ende etwa genau so illegal sein dürfte. Schon dieses „Machwerk“ hätte einen eigenen Jahres-End-Rant verdient, allein ich hebe es mir für das nächste Jahr auf, wenn dann das Kinde mit dem Bade dem Brunnen den Boden ausgeschlagen hat. Um es auf einen kurzen prägnanten Satz zu bringen: Dilettantismus oberhalb jedweden Verständnishorizonts! Technisch, organisatorisch und rechtlich! Der zur Seite geneigte Leser möge sich bei den einschlägig bekannten Quellen (Netzpolitik, CCC und Co.) informieren und bitterlich weinen.

Ansonsten hätten wir da noch diverse weitere Baustellen wie Krankenhausreform, Corona-Aufarbeitung, Pflegenotstand (ja, immer noch, nachdem man ja 2020 mal die Dings…äh….wie hieß das noch…äh ja, die Eier in die Hand nehmen wollte, oder so). Summa cum sum laude: Das System ist in einem nicht nur nicht guten Zustand sondern es bröselt und bröckelt so vor sich hin und nähert sich eher dem Zustand des Kollaps als dem der Generalsanierung.

Apropos Kollaps und Bröseln. Welch passende Überleitung zum nächsten Thema. Brücken! Wobei Brücken dem Umfang der Problematik nicht ganz gerecht wird auch wenn ein sehr umfänglicher Teil eben dieser Bauwerke entweder im sehr schlechten oder schon zusammengestürzten Zustand vorzufinden sind. Jedoch befürchte ich, dass wir das Thema etwas extensiver angehen und unter dem Überbegriff „Infrastruktur“ aufarbeiten müssen.

Es scheint ja durchaus ein gut gehütetes Geheimnis zu sein, dass man Straßen, Brücken, Schienen, Gebäude, usw. nicht nur irgendwann einmal bauen sondern auch regelmäßig sanieren, renovieren und im besten Falle modernisieren muss. Zumindest hat man diese Tatsache bisher vorzüglich vor den entsprechend verantwortlichen Dezernenten, Ministern und Entscheidungsträgern verborgen.

Die Tätigkeit des Sanierens, Renovierens und Modernisierens scheint aber generell nicht unbekannt zu sein, denn es verhält sich so, dass Eigentümer dies regelmäßig von Mietern verlangen, Mieter entsprechend von den Eigentümern und sogar Kommunen erwarten dies von Gewerbetreibenden und Privathaushalten. Private Infrastukturbetreiber scheinen diesbezüglich auch zu den Eingeweihten zu gehören und recht vernünftige Ergebnisse zu erzielen, wie man zum Beispiel bei diversen Flughäfen, Badeeinrichtungen und Artverwandtem in Augenschein nehmen kann. Selbst im Bildungssystem sind eklatante Unterschiede zwischen der Infrastruktur privater Träger und staatlicher Anstalten zu erkennen. Insassen der ersteren sitzen meistens noch in echten Gebäuden aus Beton und relativ hoher Sicherheit während man bei Insassen der Zweiteren einen zunehmenden Tendenz feststellt, diese in Wellblechkästen zu pferchen (dazu später aber mehr) oder von Gebäudeteilen erschlagen zu lassen.

Um es zusammenzufassen: Richtig glatt läuft es mit der Infrastruktur nicht und dies nicht nur wegen der zunehmenden Anzahl an Schlaglöchern. Die schiere Anzahl maroder Brücken, bröckelnder Straßen, baufälligen oder abriss-pflichtigen Gebäuden, grenzwertig gewarteten Schienentrassen und vielem mehr lässt eigentlich keinen anderen Schluss zu, dass man hier komplett die Kontrolle verloren hat. Oder einfach, dass die in den letzten 20 Jahren damit betrauten Personen dem puren Dilettantismus frönen und somit niemals die Kontrolle hatte. Auf Basis persönlicher Erfahrungen präferiere ich die letzte Annahme.

An Stellen, wo man von bröselnder und bröckelnder Infrastruktur schwadroniert, ist meist ein Abriss (haha, welch gewagter Wortwitz) über unsere Bildungseinrichtungen (auch Schulen genannt) meist nicht fern. So auch in diesem Pamphlet. Bemerkenswert hierbei ist die Vehemenz, mit der Mitbürger darauf bestehen, dass unser Schulsystem ja zu den besseren gehört. Dies führt in den meisten Fällen zu meiner-seitigen Verwunderung, der Erkenntnis, dass besagter Mitbürger vermutlich keine Kinder hat oder sich politisch verdingt (und somit der Begriff der Realität eh schon interpretatorisch fragwürdig ist) und zu der Frage: „…zu den besseren im Vergleich zu welchen?“

Ferner bleibt die Frage, welches Bildungssystem der besagte Bürger zu seiner Zeit in Anspruch genommen hat, denn aus eigener Erfahrung weiß ich zu berichten, dass Qualität schon vor über 30 Jahren aus den Erziehungsanstalten des Landes hinweg budgetiert wurde, wir auch damals schon extra Kohle für Kopien blechen mussten, die Stoffe für den Chemieunterricht meistens den Aggregatzustand „leer“ hatten und die Physiksammlung auf den Stand der späten 70er und frühen 80er Jahre hängengeblieben war. Auch die Auslagerung in „temporäre Pavillons“ war schon damals ein Dauerbrenner, der erst für beendet erklärt wurde, als die unter dem Pressspahnbunker wuchernde Grünfläche durch den Boden hindurch wurzelte. Aber – und dass kann ich mit etwas stolz verkünden – wurden bei uns die Schulgebäude geschlossen und evakuiert BEVOR den Schülern die Decke auf die Köpfe fiel. Da waren wir dem heutigen Zustand weit vorraus.

Der geneigte Leser wird sich denken: Ja ja, Oppa erzählt mal wieder vom Kriech!“. Eben diesem sei versichert, dass das Vorhanden sein eigenen Nachwuchses dazu führt, der allgemeinen Evolution dessen was wir so euphemistisch „Bildungssystem“ nennen aus nächster Nähe beizuwohnen, darunter zu leiden und als Elternbeirat Vollopfer dieses sogar mitzugestalten.

Um es in einfache Worte zu fassen: Lehrmittelfreiheit? Am Ar****! Eine nicht unbeträchtliche Menge an Material muss inzwischen von der Parentalfraktion querfinanziert werden. Die Physiksammlung: Immer noch aus den 70ern! Nur liegen diese jetzt nicht mehr 20 Jahre zurück sonder 50. Lehrkräftemangel: Genau wie Anno Dünnemals (nur auf höherem Niveau) somit auch eine angemessene Menge an Unterrichtsausfall. Und über das Thema Gebäude und Räumlichkeiten brauchen wir hier gar nicht erst zu reden. Wer Genaueres wissen will, beschäftigt sich mit der Frankfurter Bildungspolitik, wirf einen Blick auf den „Held am Montag“ (https://www.youtube.com/watch?v=eozk93mum6o) oder abstrahiert einfach die Erkenntnisse aus dem vorhergehenden Abschnitt zum Thema Infrastruktur.

Der Autor könnte sich an dieser Stelle auch noch über die Ergebnisse der Pisa-Studie echauffieren, nur würde das bedeuten, Kamele nach Athen zu tragen bis die Eule bricht und somit schließt er an dieser Stelle das Thema Bildung und erfreut sich der Tatsache, dass es vielleicht noch Lesender:innen gibt, welche wissen, was das Wort Echauffieren überhaupt bedeutet und wie man es schreibt…vielleicht!

Und nun? Eben solche Ergüsse könnte ich zu den Themenkomplexen Fachkräftemangel, Ukraine-Politik, Wärmepumpen-Gesetzte, Olli Scholz’ Aktentasche, E-Auto-Nichtabsatzmarkt, VW-Katastrophen, Deutschland-Ticket, Verkehrsminister Wissing und seinen eklatanten Mangel an Tempo 130 Schildern und natürlich über die Grand Dame des plakativen Aktivismus Nancy Faeser führen (wobei hier ein einzelner Rant wohl nicht mal ansatzweise Ausreichen würde). Wenn aber schon gestandene Kabarettisten und Satiriker ratlos und kopfschüttelnd vor diesem Scherbenhaufen aus geballter Dilettanz kapitulieren, was soll ein kleines vor sich hin wütendes Licht wie ich noch dazu beitragen.

Bis zu dieser Stelle gelangt, fragt man sich als Verfassender:innereien, ob der Rezipient noch folgen kann und möchte. Letztendlich hätte dieses absurde Jahr so viel mehr zu bieten, welches die Dysfunktionalität dieses Landes auf höchster Ebene demonstrieren würde und könnte. Da wir aber aus wissenschaftlichen Quellen wissen, dass die Fähigkeit zur konzentrierten Aufnahme von Inhalten zunehmend abnimmt (jaja, ich habe gerade 10 Minuten versucht herauszufinden, wie dieses grammatikalische Konstrukt genannt wird), außer vielleicht bei Alkohol, möchte ich mich an dieser Stelle der Königsklasse der Dysfunktionalität zuwenden: Der aktuellen Nicht-Mehr-Regierung.

Liest man durch die Kommentar-Sektionen diverser Onlinemedien (ein Vorgang, von dem der Autor dieser Zeilen im Sinne der eigenen geistigen Gesundheit dringend abraten muss), dann stellt man fest, dass ein gängiges Argument für den dauerhaften aktuellen Zustand des Landes in etwa wie folgt lautet: „Daran ist nicht die aktuelle Regierung schuld, sondern die Regierung der letzten 5/10/15/20 Jahre. Die können das alles gar nicht wegräumen“. Da bleibt einem nur zu sagen: Netter Versuch, aber am Ar*** die Waldfee. So billig kommt man aus dieser Nummer nicht raus.

Schauen wir doch mal genau hin. Alle Parteien der aktuellen Regierung waren irgendwann an den Regierungen der letzen 5/10/15/20 Jahre beteiligt und einige der großen Köpfe, welche sich jetzt an nichts mehr erinnern können sogar in weitreichenden und tragenden Funktionen.Nicht wenige Entscheidungen der letzten 20 Jahre sind auf den Misthaufen derer gewachsen, die sie jetzt nicht wegräumen wollen und können, egal ob als Ex-Finanzminister und Vizebundeskanzler, Schräubchedreher im Gesundheitsministerium, etc. pp.

Weiterhin wurde die aktuelle Regierung gewählt um unter anderem die Fehler, welche man der Regierung der letzten Jahre und Jahrzehnte anlastet anzugehen, zu begradigen und zu beseitigen. Das Argument, dass die aktuelle Besetzung der Regierungsbank nicht an diesen Verfehlungen schuld sei und nicht dafür die Verantwortung trage, läuft also ins Leere, denn es wäre unter anderem, neben vielen anderen anstehenden Aufgaben, auch ihr Auftrag gewesen, all das gerade zu rücken, was in der Vergangenheit – nach Ansicht der Wähler – verbockt wurde oder zumindest mal genau damit zu beginnen. Wir brauchen uns nicht darüber zu streiten, denn die Situation in der wir uns hier in diesem Land befinden, ist nicht erst in den letzten 36 Monaten entstanden. Allerdings muss sich die nicht mehr ganz so aktuelle Regierung den Vorwurf gefallen lassen, dass sie wie ein Zahnarzt agiert hat, der die Zähne seines Patienten gebleicht und mit Veneers versehen hat, während er übersehen hat, dass die komplette Substanz darunter schwer kariös ist und der schöne Schein in kurzer Zeit einfach in sich zusammenstürzen wird. Man hat sich auf Ideologie- und „Herzens“-Projekte fokusiert, 36 Monate rum gestümpert, ist vor- und zurück gerudert, ist im Kreis rennend seinem eigenen Schwanz hinterhergejagt und am Ende hat man sich nicht wirklich von der Stelle bewegt. Und das Management hat auf les affaire gemacht und an den entscheidenden Stellen durch Abwesenheit geglänzt nur um das Scheitern im Nachgang selbstgefällig zu kommentieren.

Das, was wir da die letzten Jahre bewundern durften, hätte in keinem Unternehmen egal welcher Größe, länger als ein paar Monate angedauert, bevor dieses entweder wirtschaftlich das Zeitliche gesegnet oder der Aufsichtsrat diesem ein krachendes Ende bereitet hätte. Beides hat hier nicht statt gefunden, weil ersteres nicht möglich ist und zweiteres sehr lange verzögert wurde. Man würde in der Wirtschaft und im Finanzwesen wohl von Insolvenzverschleppung sprechen. In dieser Zeit sind uns mehrere Landtagswahlen um die Ohren geflogen mit dem Ergebnis, dass man irgendwelche absurden Koalitionen zusammen schustert, die weder konsens- noch regierungsfähig sind, nur um die ewig über dem Parlament kreisende Bedrohung AfD in Schach halten zu können. Mit Demokratie hat das nichts mehr zu tun, denn wenn ein System so sehr um sich kreist, dass es dysfunktionale Organe hervor bringt, die nicht in der Lage sind zu managen, dann sind wir bereits ganz, ganz, ganz weit unten und der Aufschlag ist nicht mehr nur noch eine Frage der Zeit sondern vor allem der Härte.

Was ist jetzt die Erkenntnis dieses Jahres-End-Rant? Ist wirklich alles so schlimm in diesem Lande und ist es nicht Gejammer auf hohem Niveau?

Nö, ist es nicht. Wer mich länger kennt weiß, dass ich dieses, unseres Land, unsere Gesellschaft, unser System, sehr lange gegen jede Form von Kritik verteidigt habe, einfach nur, weil ich sehr lange der Überzeugung war, dass wir in einem der besten aller schlechten Systeme leben. Natürlich gab es Luft nach oben und diese war und ist auch nötig und notwendig. In irgend eine Richtung muss man sich ja orientieren können und diese Bestreben solle sich immer „nach oben“ richten.

Aber genau das passiert nicht mehr! Wir verwalten nicht mal mehr den Status Quo, unser einziges Argument ist, dass es „wo anders“ ja noch schlechter ist. Im Endeffekt wird also nur noch der Fall gebremst und wir benehmen uns, als ob wir noch mitten im Wirtschaftswunder, mitten in den goldenen Jahren stecken würden. Unser Selbstverständnis, dass unserer Gesellschaft und unserer Politik basiert auf einem nicht mehr akkuraten Bild der 70er, 80er und vielleicht noch der guten frühen 90er Jahre.

Ich habe Krankenhäuser gesehen, in denen die Stationen in einem Zustand waren, dass man in Zweite-Welt-Staaten vermutlich die Betriebserlaubnis entzogen hätte. Ich stelle mir jetzt schon die Frage, ob mein Junior in ein paar Jahren auf eine Privat-Schule geschickt wird, weil ich im aktuellen Bildungssystem inhaltlich und infrastrukturell keine Zukunft mehr sehe. Das Wissen, dass alleine in Hessen 50(!) Autobahnbrücken nicht nur sanierungsbedürftig sonder als kritisch klassifiziert werden lässt mich nicht nur am Zustand unserer Verkehrsinfrastruktur zweifeln. All dass vor einer politischen (Un)kultur, in der plakativ an den „großen Problemen der Zukunft“ herungestümpert wird, während der eigentlich Unterbau unsere Gesellschaft und unseres Landes verfällt.

Und das alles vor einer politischen Kulisse, die sich nicht wirklich Innovation und allgemeine Verbesserung für Jedermann auf ihre kommunikative Flagge geschrieben hat, sonder an jeden Einzelnen mit der Forderung nach mehr Verzicht, mehr Leistungswille, mehr „Gürtel enger Schnallen“ herantritt. Klimawandel, Kriege und sonstige Krisen hin oder her, diese Ansätze und Forderungen sind keine visionären Konzepte für eine positive und gemeinsame Gestaltung unserer Zukunft. Das sind quasi-religiöse Schuld- und Sühne Konzepte aus grauer Vorzeit.

Die Tatsache, dass wir in einem Land leben, in dem eine rechtsextreme Partei bei ca. 20% rum dümpelt ist demokratisch legitim aber moralisch Fragwürdig. Die Tatsache, dass diese Partei dafür NICHTS tun musste ist eine Bankrotterklärung aller Parteien, die in dieser Zeit Regierungsarbeit „geleistet“ haben. Sicher, man mag argumentieren, dass dies ein europäischer Trend wäre, aber man möge auch nach Dänemark schauen, wo sozialdemokratische Parteien die aufkeimenden Rechtsextremen in die Bedeutungslosigkeit zurück gedrängt und versenkt habe. Nur dazu bedarf es mehr als ständigen plakativem Aktivismus und ideologisch getriebener bei der Bevölkerung durchfallender Lösungsansätze.

Aber so ist das wohl, wenn eine Gruppe von sich selbst zu sehr eingenommener Egomanen ohne großartigen Bezug zur Realität und nennenswerte Fähigkeiten versucht ein schweres Passagierschiff durch stürmische Gewässer zu navigieren. Dann muss man den Gästen das Chaos nur besser erklären. Und selbst wenn man die Erkenntnis gewonnen hat, sich hoffnungslos verfahren zu haben, so würde doch niemand auf die Idee kommen, dies zuzugeben oder nach dem Weg zu fragen.

Geschichtlich betrachtet ist das alles nicht weiter tragisch: Reiche entstehen und Imperien fallen, ein ewiger Kreislauf. Ein guter Indikator für den präterminalen Zustand einer Gesellschaftsordnung, eines Reiches, ist ein zunehmendes Maß an Dekadenz und wenn ich mich so umschaue und darüber nachdenke, dann sind die Zeichen eindeutig. Dann…und zwar genau dann, wird es Zeit über eine Exit-Strategie nachzudenken. Die Frage ist nun nicht mal mehr ob, sondern wann.

Von daher gibt es diesmal keine „Lasst es uns besser machen“-Weisheit am Ende des Rants 2024.

Ich habe heute leider kein Foto für Euch!

Wir sehen uns in 2025. Das „Wo“ wird noch zu klären sein.

Bis denne und auf eine neue Runde

Artikel 5: Eine Diskussion findet nicht statt.

Jahres-End-Rant, der zweite Versuch. Nachdem ich mich ursprünglich über die Befindlichkeiten und den allgemeinen Zustand der Nation einer Neujahrsansprache angemessen auslassen wollte, stolperte ich sozusagen kurz vor Redaktionsschluss über eine Statistik, die es nach zweimaligen Hinsehen viel eher verdient, eine unrühmliche Rolle in meinem traditionellen Silvester-Pamphlet zu spielen. Und da ein Rant zur Gesamtsituation des Landes mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch im nächsten Jahr durchaus nicht unangebracht sein wird, kann ich mich dieser aktuellen und äußerst unerfreulichen Datenerhebung widmen.

Um es kurz zu machen: Die Meinungsfreiheit ist nach allgemeiner Meinung (welch Ironie) im A….llerwertesten. So zumindest, wenn es nach den Daten und Fakten einer allgemeinen Umfrage veröffentlicht im Dezember Anno 2023 geht (Umfrage). Nur noch 40% der dort Befragten glauben, ihre Meinung frei äußern beziehungsweise frei reden zu dürfen. 44% Prozent hingegen sind der Auffassung, dass es durchaus vernünftiger wäre, vorsichtig mit dem zu sein, was man so von sich gibt. Der niedrigste Wert seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1990. Vermutlich ein Effekt des Klimawandels.

Jetzt könnte man diese 44% einfach mal so alleine im Raum stehen und sacken lassen. Dann würden diese sich aber sehr schnell sehr einsam fühlen und ein Blick auf den Verlauf der Umfragedaten ist durchaus lohnenswert bevor man sich dann auch mal mit dem Realitätsgehalt dieses Unfreiheitsgefühls auseinandersetzt. Auffällig ist, dass ein klarer Abwärtstrend zur gefühlten Meinungsfreiheit festzustellen ist. Die Stelle, an der die Axt aber dem Zimmermann den Boden ausschlägt, sozusagen der Pillenknick der Meinungsfreiheit, lässt sich irgendwo zwischen 2017 und 2021 ausmachen. Eine genauere Lokalisierung dieses Absturzes ist leider aufgrund der Tatsache, dass es innerhalb dieses Zeitraumes keine weiteren Erhebungen gab, nicht möglich, aber es könnte durchaus einen Zusammenhang mit weltpandemischen Ereignissen (oder besser gesagt mit nationalen Umgangsstrategien) geben, die diesen Vertrauensverlust von nahezu 20% (von 63% auf 45%) erklären könnten. Und jetzt? Hat man größtenteils Verschwörungsdenker und Quertheoretiker befragt? Wäre wohl die Erklärung, die man heute am schnellsten aus dem Hut zaubern würde, aber dann würde man die Erhebung als methodisch fragwürdig erklären müssen (oder „problematisch“ wie man heutzutage so schön sagt, wenn man die Dinge in Misskredit bringen möchte). Zudem ignoriert es die Tatsache, dass der Abwärtstrend nicht erst in den letzten 4 Jahren entstanden ist, sondern sich nur verstärkt hat.

Also, Vorhang auf zu unserem heutigen Spektakel. Lasst uns auf polemischste Art schauen, ob unsere Meinungsfreiheit wirklich auf die Rote Liste gehört und wenn ja, warum nicht.
Beseitigen wir erst einmal die harten Fakten, dass ist ja heutzutage eine durchaus valide Herangehensweise. Da wäre zum Beispiel die allgemeine Gesetzeslage: Hat sich in den letzten 30 auf rechtlicher Seite irgend etwas verändert, so dass ich auch heute etwas nicht sagen darf, was ich vorher auch schon nicht sagen durfte. Und viel wichtiger: Darf ich heute Dinge nicht nicht sagen, die ich vorher auch schon nicht nicht sagen durfte?
Man mag es kaum glauben, aber die simple Antwort darauf ist tatsächlich: Nö. Von Staates Seite her hat sich (Achtung: rein rechtlich) absolut nichts daran geändert, welchen Stuss und Sermon der Einzelne von sich geben kann und welcher Quark strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Und kommt mir nicht mit irgend welchen Gesetzen gegen „Hatespeech im Netz“. Hassparolen und Volksverhetzung waren schon immer verboten, gingen aber in der früheren Zeit eher mit Flugblättern und Graffiti als mit Online-Beiträgen einher. Haken wir diese Formalie also ab.

Wenden wir uns also dem ersten weichen Ziel hinter Tor Nummer Eins zu und schauen mal, was wir da so finden.
Eine allseits beliebte Aussage zum Thema Meinungsfreiheit  welche gerne von denen verwendet wird, die sich im absoluten Recht sehen (meist aber eher Link stehen), ist: „Jeder darf alles sagen, er/sie/es muss halt auch das Echo oder die Antwort vertragen“. Das ist erst einmal nicht ganz unrichtig, aber bei genauerem Hinsehen wird es hier sehr interessant. Denn in der Tat hat sich an dieser Stelle teils massiv (oh Shit, jetzt habe ich diese journalistisch-dilettantistische Floskel auch verwendet) der Modus Operandi verändert. Der gefühlte Diskussionsraum hat sich nämlich in der Tat sehr stark von einer persönlichen und eher eng begrenzten Ebene hin zu einem anonymen Massenphänomen entwickelt. Oder anders formuliert: Einen von Online-Medien unbeeinflussten Meinungsaustausch gibt es eigentlich nicht mehr (auch nicht im Privaten) und das hat weitreichenden Konsequenzen. Klammern wir einfach mal die Tatsache aus, dass Online-Plattformen fast ausschließlich aus Meinungsbubbles bestehen und wirklich niemand (in Worten „NIEMAND“) dort aktiv ist, um sich eines Besseren belehren zu lassen sondern prinzipiell immer Recht hat, selbst wenn die Person gar nicht mehr weiß, worum es eigentlich geht, so bleibt dennoch die Tatsache, dass diese Diskussionsunkultur auch in der fleischlichen Welt um sich greift, bzw. diese ganz bewusst dahingehen manipuliert wird (Influencer und so…). Shitstorms haben ihren Ursprung nicht mehr ausschließlich im Netz oder betreffen Personen des öffentlichen Lebens, sondern können dank Asocial Media jederzeit über jeden hereinbrechen und das Teils mit fatalen Konsequenzen. Wer nicht Teil dieses Nichtdebattenraumes ist, hat da im Endergebnis durchaus bessere Karten, seine Meinungen zu äußern, auch wenn diese unbequem sein mag, denn diese Person lässt sich dann nur sehr schwierig an die virtuelle Wand stellen um sie mit Scheiße zu beschmeißen. Im Klartext: wer nicht getagged werden kann oder verlinkbar ist, hat durchaus weniger hässliche Konsequenzen zu befürchten, als Menschen, die man im öffentlichen Raum durch die Mangel drehen kann. Und da diese Zahl beständig kleiner wird, wird in der Konsequenz die Zahl an Menschen größer, die sich lieber genau überlegen, was und wie sie es sagen, als mit den Konsequenzen teilweise bewusst gewollten Missverstehens und Interpretierens durch die (online-mediale) Mangel gedreht zu werden. Das „Echo“ ist also kein diskursbasierter Gegenwind sondern eine aufgescheuchter wütender Onlinemob, der sich in Extremfällen auch gerne mal in die reale Welt „herunterlädt“. Und dann muss man doch konstatieren: Meinung zu äußern, egal wie blödsinnig sie sein mag, kann tatsächlich wesentlich schneller in der Tat auch physisch und psychisch gefährlich werden.

Verlassen wir an dieser Stelle Tor 1 und werfen einen Blick hinter Tor 2. Dort finden wir….eine nicht mehr vorhandene Diskurskompetenz kopulierend mit zwanghaftem Schubladendenken und mentaler Inflexibilität. Wirklich JEDE Diskussion (ja ja, ich weiß, absolute Meinung und so…also gut, FAST jede) beginnt und endet sofort damit, dass ihr Gegenstand danach bewertet wird, ob dieser Links oder Rechts ist und ob Vertreter dieser oder jener Grundthese „problematisch“ sind. „Problematisch“ definiert sich übrigens daraus, dass besagter Personenkreis zum Beispiel in unliebsamen Medien veröffentlicht, die falsche Partei wählt oder einen Satz oder Sätze von sich gegeben hat, die (vornehmlich aus dem Kontext gerissen) diesen Personen jedwede Glaubwürdigkeit oder Kompetenz absprechen (sollen). Sollte sich kein eindeutiges Rinks oder Lechts feststellen lassen, so wird einfach gewürfelt, den „Verlauf“ der Diskussion ändert dies erstaunlichst in keinster Weise. Der eigentliche Inhalt, der zentrale Kernpunkt einer Diskussion, wird meistens gekonnt oder weniger gekonnt ignoriert oder mal kurz angekratzt, geht aber im allgemeinen Feuer der brennenden Strohmänner unter.
Der Vernunftbegabte verlässt an dieser Stelle den Diskussionskomposthaufen, denn er ist sich gewahr, dass ein Austausch von Argumente hier nicht statt finden kann und ein möglicher Perspektivwechsel beim Gegenüber ein Wunschtraum bleiben wird. Diskussion beendet, Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt aber dafür wieder ein Stück Meinungsvielfalt verloren. Vielen externen Rezipienten solcher Vorgänge erscheint dies aber dann tatsächlich im Lichte eines „der darf das nicht sagen…“. Und schwupps, schon wieder ein paar Prozentpunkte mehr vom Meinungsfreiheitsindex weg gehobelt.
Wer sich hingegen auf eine solche potenzielle Schlammschlacht einlässt, der verirrt sich ganz schnell in Tor 1 mit den oben beschriebenen Konsequenzen

Schreiten wir weiter zu Tor 3. Dort finden wir…richtig…den Zonk. Wie ich eingangs erwähnte, hat sich die rechtliche Situation, also das Rahmenwerk, welches der Staat zur Entfaltung der freien Meinung definiert, nicht geändert. Und das ist auch gut so. Was sich hingegen verändert hat, ist die Beziehung zwischen staatlichen Organen, Parteien und Bürgern. Das sich Parteien jedweder Couleur an der allgemeinen Meinungsmache beteiligen – geschenkt. Meinungen, Ideen und teilweise auch Ideologien gehören in die politische Landschaft. Aus diesem Grund existieren Parteien, aus diesem Grund existieren Wahl- und Grundsatzprogramme und genau das ist in einer schönen Theorie die Grundlage eines demokratischen Systems und Miteinanders.
Was nicht mehr existiert ist ein konstruktiv-argumentative Herangehensweise. Es geht einzig und alleine darum, den (politischen) Gegner und seine Unterstützer zu diskreditieren, ihnen Intelligenz und Fähigkeiten abzusprechen und sie als Gefahr für die Allgemeinheit und Weltfrieden im Besonderen darzustellen. Das ist jetzt bei Weitem nicht neu, allerdings hat sich das Ausmaß dieser Methodik drastisch erhöht und scheint aktuell das einzig verbliebene Werkzeug im Kasten der politischen Schlammschlachten zu sein. Unschön dabei ist, dass dies nicht mehr auf das – wie sagen ich es am Besten? – Politotop beschränkt bleibt, sondern man diese Methodik ganz dilettantisch per Gießkanne über die gesamte Wählerschaft und den Rest der Bevölkerung auskippt. Großmütig erklärt man dann, dass man die Gesellschaft nicht spalten will und diese Spaltung auch nicht existieren würde und nur eine paranoide Fantasie der Meinungsfernen sei. Gebetsmühlenartig versichert man sich dieser vermeintlichen Tatsache immer und immer wieder nur um dann im nächsten Schritt wieder undifferenziert in Gut und Böse einzuteilen. Das ist in der Klima-Politik so, dass war in der Corona-Politik so, über die Migrationsdiskussion lohnt es sich fast gar nicht mehr zu reden, nachdem man hier langsam feststellt, dass gut nicht immer gut und böse nicht immer böse ist und absolute Standpunkte in dynamischen Systemen eher ein blöde Idee sind. Überzeugen muss niemand mehr, lediglich die Gegenseite für dumm, uneinsichtig und ignorant erklären und jedwede Meinungsäußerung mit harschen öffentlichen Konsequenzen (siehe Tor 1) dekorieren. Ist am Ende auch viel bequemer, als sachbezogene Kompromissdiskussionen. Gut/Böse ist viel einfacher. Und da nur 100% Deckungsleichheit mit der eigenen Meinung „Gut“ bedeutet, sind Kompromiss- und Konsens-Suchende dort eben nicht zu finden und dürfen in der Diskussion dementsprechend diskreditiert und nach belieben denunziert werden. Am Ende gilt auch hier: Der schlaue Konsens-Suchende verlässt die Möchtergern-Diskurs-Sickergrube, bevor er von den überquellenden Fäkalien wieder zu Tor 1 gespült wird. Und die gesamte Medienlandschaft spült zusätzlich ihre Abwässer bis zum Überlaufen mit in diese Grube. Meinungsfreiheit gerettet und Politik und Medien haben natürlich alles richtig gemacht…oder so ähnlich.

Und nun? Was ist die Quintessenz des Ganzen, die Erkenntnis? Ist dieses Gefühl nicht mehr alles sagen zu dürfen mit irgend welchen Fakten begründet? Sollten wir uns sorgen um das hohe Gut der Meinungsfreiheit machen? Ja, das sollten wir, aber nicht, weil uns ein Staat, eine Regierung, ein politisches System diese beschränken oder abschaffen will. Wir selber sind es, die sich gegenseitig den offenen Austausch von Meinungen zur Hölle machen. Man hat uns in den letzten 30 Jahren dazu ein stetig größer werdendes Instrumentarium an Folterwerkzeugen gegeben um argumentativen Austausch auf das Einfachste zu unterbinden. Und solche Sätze wie „Das ist aber keine Meinung sondern XYZ…“ zeigen auf erschreckende Weise, wie niedrig inzwischen die Stöckchen hängen, über die alle spring. Denn grundlegend ist wirklich alles eine Meinung, egal wie bescheuert, abgehoben, ekelhaft, unverständlich oder sinnfrei es auch sein mag. Ansonsten würde man es nicht mehr Meinung sondern Fakt oder bei Akzeptanz sogar Konsens nennen. Meinung muss nicht korrekt, fundiert, belegbar oder allgemein anerkannt sein. Das wir etwas als „Keine Meinung“ definieren, ist lediglich ein mentales Hilfskonstrukt, mit dem wir uns dann selber einreden, niemandem die Meinung beschränken zu wollen. Also deklamieren wir einfach „das ist keine Meinung“ und dürfen fröhlich losdiffamieren.
Ja, sogar rassistische, extremistische, faschistische Ideen sind Meinungen, zwar absolut idiotische, aber trotzdem Meinungen. Unser Grundgesetz setzt genau dort an und grenzt die Meinungsfreiheit genau dort ein, so sie potenziell gesellschaftlich schädlich wird. Im relevanten Artikel steht allerdings nicht, dass es sich dann nicht um eine Meinung handelt, welche nebenbei gesagt auch durch diesen Paragraphen nicht aus den Köpfen der Betreffenden verschwindet. Es gibt sehr gute Gründe, warum die Hürden für das, was nicht gesagt werden darf, sehr sehr hoch liegen und wir sollten den Teufel tun, diese Grenzen durch Selbstjustiz und der eigenen gefühlten moralischen Selbstgerechtigkeit immer niedriger zu hängen.
Wie eingangs beschrieben zeigt uns die Statistik hier eines: Es sind nicht nur die üblichen blau-braunen Verdächtigen, die sich in dem, was gesagt werden darf eingeschränkt fühlen und es ist deutlich mehr als die Hälfte unserer Gesellschaft. Um es Euch vielleicht mal plastisch vor Augen zu führen: Stellt Euch vor ihr habt Eure engste Familie und Eure besten Freunde zu einer Party eingeladen und 20 Personen feiern fröhlich mit Euch zusammen. Stellt diese 20 Personen in eine Reihe und zählt durch. Jeder zweite, jede gerade Zahl in dieser Reihe glaubt, in vielen Fällen nicht mehr frei reden zu können. Und nun? Ach so, in Eurem Freundes- und Familienkreis ist das nicht so? Ok, gut, dann müssen wir dies halt statistisch wieder ausgleichen, nehmen 20 weitere Kollegen und Nachbarn dazu. Damit die Statistik wieder stimmt, glaubt eben jeder(!) dieser, seine Meinung nicht mehr frei äußern zu dürfen. JEDER! Weil JEDER in eurem Freundeskreis und in der Familie seine Meinung Eurer Erkenntnis nach frei äußert. Das glaubt Ihr zumindest.

Was will uns der Dichter mit diesem Beispiel sagen? Im Endeffekt nichts anderes, als dass dies verdammt hohe und gefährliche Werte sind, gegen die wir uns mit aller Kraft wehren müssen. Wie bereits gesagt, sind wir selber die Vollhorste, die sich die Meinungsfreiheit gegenseitig wegnehmen. Und statt es so zu halten, wie es eigentlich seit jeher funktioniert hat, nämlich Meinungen, die keinen Konsens bilden, die jenseits jedweder Faktenlage und Realitätsbezug existieren sich selbst zu Tode stürzen zu lassen, geben wir ihnen überhaupt erst Gewicht und machen sie zu den Monstern, die wir dann verzweifelt zu bekämpfen versuchen. Schon irgendwie idiotisch und auch schizophren, wenn man genauer drüber nachdenkt. Schaut mal genau hin. Inzwischen gibt es genug Ansätze (nachweisbar in diversen Druckerzeugnissen), die Homöopathie oder bestimmte „achtsame“ Erziehungsansätze mit politisch rechten Tendenzen verknüpfen, von der unsäglichen social-media getriebenen „Sind Veganer rechts“-Clownerie ganz zu schweigen. Wenn ich jemanden 20 mal sagen, dass er ein Nazi ist, derjenige aber überhaupt nicht weiß, warum und nicht versteht, warum er sich diesen Schuh überhaupt anziehen sollte, dann sagt er halt beim 21 mal: „Na gut, dann bin ich halt ein Nazi“. Damit ist die Diskussion auch beendet, aber irgendwie beschleicht mich hier das Gefühl, dass wir damit nichts gewonnen haben.

Kommen wir aus dieser Spirale irgendwie wieder raus? Oder sehen wir in der Statistik 2027 dann, dass nur noch 30 oder weniger Prozent glauben, ihre Meinung frei äußern zu können ohne gesellschaftliche und persönliche Konsequenzen zu fürchten? Nach den letzten Jahren fürchte ich, die Antwort zu kennen, aber meine Frau sagt, ich soll etwas optimistischer sein. Also bekommt Euren Arsch hoch, unterdrückt den Reflex, zu jedem Scheiß was sagen zu müssen und vor allem, lasst die Leute sich selbst um Kopf und Kragen reden. Wenn es absurd wird, regelt sich das von selbst, wenn Ihr es denn zulasst.

In diesem Sinne, Over & Out.

See you in 2024 ihr Loddersäcke

Der Influencer-Virus – Eine Studie zu schädliche Nebenwirkungen von Influencer(n) auf das zerebrale System bei Langzeitexposition

Da ist er wieder, der berüchtigte Jahres-End-Rant und fast schon traditionell auch der einzige Eintrag, den ich über die letzten 12 Monate in diesem Blog – auch wenn es diese Bezeichnung schon lange nicht mehr verdient – tätige. Alleine, der Gattin verlangt es danach und als guter Ehemann ist es natürlich meine Pflicht, das Verlange der Gattin zu befriedigen. Folglich heißt es, sich an die Tasten zu setzen und die Windungen des Hirns zu stürmen, welches oder welche weitreichenden und gereichten Ereignisse denn meines Zorns würdig sind.

Nicht, dass dieses nach langem Siechtum dahinscheidende Jahr jede Menge Kontro- und auch etliches Perverses zu bieten gehabt hätte. An gesamt- und globalgesellschaftlichem Blödsinn hat es zu keiner Zeit gemangelt. Allerdings findet dieser sich inzwischen auf einem so niedrigen Niveau wieder, dass es einfach keinen Spaß mehr macht, diesen mit der metaphorischen Axt zu er- und zerlegen.

Also alles, über was ich im diesjährigen Rant nicht reden will, in der Kurzfassung:

  • Ukraine-Krieg: Faschistische Autokratie mit schwerem Realitätsverlust bei der Regierungsspitze…öhh, Entschuldigung, es muss natürlich „beim Führer“ heißen, führt Angriffskrieg mit genozider Zielsetzung. Diskussion nicht notwendig, da eindeutig irrsinnig und widerlich. Wegtreten!

     

  • Pandemie: „Des Corona, hat des jetzt eigentlich was gebracht? Nee, gell? (frei nach Badesalz)

     

  • Fußball, WM und FIFA: Nö, Diskurs sinnlos. Außerdem kann man nicht auf Entitäten eintreten, deren moralisches Niveau bereits zweieinhalb Meter unterhalb der Grasnabe gerade vollständig verrottet ist.

So richtig aufregen kann einen nicht mehr wirklich viel davon. Aber worüber könnte ich mich dann von oben herab auslassen?

Die Antwort bringt in diesem Fall der älteste Spross der Familie regelmäßig abends mit an den Esstisch: Influenza…ach nee…Influencer…

Es ist nicht nur bezeichnend, dass die Rechtschreibprüfung dieses Wort als fehlerhaft markiert, denn das ist es und das dadurch beschriebene Subjekt Zweifels ohne, es ergibt auch dahingehend einen Sinn, dass das Niveau der Gespräche während des Abendessens von dieser „Berufs“gruppe sehr oft einfach hinweg-influenced wird.

Um irgendwelchen Missverständnissen vorzubeugen: Mir ist das Konzept des Influencens und artverwandter Tätigkeiten über alle Kanäle, welche das digitale Medium so zu bieten hat, durchaus geläufig, denn auch ich konsumiere Inhalte diverser Plattformen wie Youtube und Instagram. Allerdings lässt mich das Konstrukt dieser gigantischen, jeder-mit-jedem agierenden, diskutierenden, reagierenden und in nicht wenigen Fällen anscheinend auch kopulierenden Beeinflusser-Blase schon ein wenig verstört zurück. In vielen Fällen erinnert mich das alles an Scripted-Reality-Soap-Dokus, in denen regelmäßig neu durchgemischt wird, wer gerade mit wem gut (oder schlecht) kann, wer der Good Guy und der Bad Ass ist und wer gerade mit wem in was für einer auch immer geartete Beziehung steckt. Dies alles allerdings dann auf dem Niveau der 90er Jahre Storylines des Profi-Wrestlings.

Sei es wie es sei, zu diesem recht undurchsichtigen Konglomerat an Influencer-Geklüngel gesellt sich ein guter Schuss vorgetäuschten Exhibitionismusses, denn der Beeinflusser agiert ja vermeintlich als individuelle Persönlichkeit, die gerne auch mal ins Private und Intime blicken lässt. Da wird von gesundheitlichen Problemen über psychische Störungen bis hin zu favorisierten Sexstellungen und der eigenen Aktfrequenz so ziemlich alles an Informationen mit der eigenen „familiären“ Community geteilt, welche im Einzelfall auch gerne aus mehreren familiären Millionen von Zuschauern besteht. Der ein oder die andere ist dann wenigstens so ehrlich und biegt direkt Richtung „Only Fans“ ab, da lässt sich dann mit dem realen Entblättern halt noch mehr verdienen als mit dem mal mehr mal weniger vorgetäuschtem Seelenstriptease.

Die Formate (welch Pervertierung dieses Begriffes), mit denen dann die Community unterhalten wird und sich anscheinend auch unterhalten lässt, führen im günstigsten Fall zu einem milden Lächeln in vielen Fällen aber zu einer gehörigen Portion Brechreiz. Dabei sind Reactions – oft auf ähnlich geistige Ergüsse anderer Influencer – ja noch die harmloseste Variante des Niveau-Limbos. In den meisten Fällen werden einfach Party-Spiele, welche wir in den 90ern einfach mit einer Flasche schlechten Alkohols in irgendwelchen sporenverseuchten Partykellern gespielt haben, etwas aufpoliert („Ich hab noch nie…“, „Wahrheit oder Pflicht“, „Kiss, Marry, Kill“, etc. pp.). Schaut man auf die Click- bzw. View-Zahlen dieser Beiträge beschleicht einen schon der Verdacht, dass das Leben der meisten Rezipienten doch recht armselig verlaufen sein muss oder immer noch verläuft. Ich kann ja durchaus nachvollziehen, dass man gerne mal dem ein oder anderen Youtube- oder Twitch-Promi beim Zocken von Videospielen zuschaut, dieses aber auch bei den belanglosesten Partyspielen zu tun lässt sich nur mit einer gehörigen Portion Voyeurismus erklären oder der Abwesenheit jeglichen Mindestanspruches.

Könnten wir es an dieser Stelle nicht gut sein lassen, denn immerhin wurde und wird dieses Maß an minimal-intellektueller Unterhaltung ja seit je her von diversen Fernsehkanälen bedient. Könnten wir, wenn diese ominöse Gruppe an Content-Kreaturen…Entschuldigung…Kreatoren, sich einfach weiter in ihrem (A)soziotop aufhalten würde. Das ist natürlich Wunschdenken, denn hin und wieder fühlt sich ein nicht kleiner Teil berufen, zu politischen und gesellschaftlichen Themen „seriöse“ Inhalte zu produzieren, zu recherchieren und zu kritisieren, zugegebener Maßen mal mit mehr, mal mit weniger berauschender Qualität. Euphemistisch nennen dass die meisten bei sich dann auch Journalismus. Leider ist in diesem Konstrukt bereits ein schwerer Kardinalsfehler eingebacken, nämlich der, dass es sich nicht um Journalisten sondern um Beeinflusser (jaja, so übersetzt sich der Begriff in der Tat) handelt. Jeder einzelne eben dieser Beeinflusser hat eine Community, welche eine bestimmte Erwartungshaltung an ihn/sie/es stellt und welche sich aus den gelieferten Inhalten speist. Und wenn der entsprechende Content-Creator sich nicht von vorne herein darauf festgelegt hat, journalistisch zu arbeiten, dann werden Influencer den Teufel tun, nicht an ihre Anhängerschaft zu liefern. Denn das verlangt das Geschäftsmodell. Viel mehr als Clicks ist in diesem Zusammenhang nämlich die Anhängerschaft wichtig. Werbung, Merch-Artikel, Partnerschaften etc. ist auf die Community ausgerichtet und nicht auf einen versehentlich vorbei-surfenden Interessierten, der sich nicht für den restlichen Low-Brain-Firlefanz interessiert. Journalistisch sauber arbeiten heißt auch, Themen anzupacken, bei denen einem Rechereche-Ergebnisse auch mal nicht genehm sind oder bei denen vielleicht auch mal die eigene Anhängerschaft an ihren eigenen Weltbildern rütteln muss. Und sind wir ehrlich, dass wird nicht passieren, denn der Cashflow und das Standing sind doch an den meisten Stellen und in den meisten Fällen wichtiger als journalistische Integrität. Oder um es anders auszudrücken: Viele würden sich – zurecht – an den Kopf greifen, hätte sich Dieter Bohlen regelmäßig zu politisch-gesellschaftlichen Ausführungen in Talkshows und Roger Willemsen zu Promi-Big-Brother eingefunden. Und das zurecht!

An dieser Stelle wollen wir fairer Weise auch mal zugestehen, dass der Influencer-Bubble gar nichts anderes übrig bleibt, als auf Standing und Cashflow zu achten. Denn, und da wird es wieder bizarr, viele dieser professionellen Sich-zur-Schau-Steller fahren ein kleines bis mittelständisches Unternehmen vor sich her und bei vielen stellt sich einem schon die Frage, ob diese sich ihrer eigenen Verantwortung diesbezüglich eigentlich bewusst sind.

Da werden Kameraleute, Cutter, persönliche Assistenten und was alles so dazu gehört beschäftigt und eine Personaldecke vorgehalten, die den einen oder anderen Handwerks- oder sogar IT-Betrieb die Tränen in die Augen drücken würden. Immobilien werden ge- und wieder verkauft, sowohl privat als auch gewerblich, und dann per Roomtour der Community präsentiertt, nebst eigenem Fuhrpark. Die Geldsummen, die alleine von einem Gros der großen deutschen Influencer-Bubble bewegt werden dürften, sind vermutlich in der Größenordnung „erschreckend“ anzusiedeln.

Um so erstaunlich ist es, auf welcher Stufe einiger eben dieser herum dilettieren. Wenn man sich bewusst macht, dass der Influencer an sich ja erst einmal das Produkt ist, dass es für ihn/sie/es zu vermarkten gilt, ist es schon verwunderlich, wie oft persönliche Befindlichkeiten, defektes Equipment oder fehlerhafte Planung und Organisation zu Produktionsausfällen führen. Wenn man sich dann noch überlegt, dass sich wieder andere dieser Berufsgruppe selber in den Burn-Out influencen, dann hat man in etwa eine Vorstellung vom durchschnittlichen Verantwortungsbewusstsein und der unternehmerischen Grundethik.

Aber, aber, wird da der eine oder die andere (‚das‘ bekomme ich hier leider aus stilistischen Gründen nicht unter) sagen, du pauschalisiert da ganz ungemein und wirfst vieles in einen Topf. Richtig, werde ich antworten. Wahrscheinlich wäre es korrekter, all das Beschriebene bestimmten Namen zuzuordnen, Belege anzuführen, Referenzen einzubinden, und so weiter und so fort. Alleine, es ist die Mühe nicht wert. Ein kleines Experiment, dass jeder für sich durchführen kann (welches natürlich verfälscht, wenn Ihr Anhänger einer der erwähnten Communities seit – aber in dem Fall findet Ihr mich vermutlich sowieso schon seit dem dritten oder vierten Absatz dieses Traktates kacke):

Nehmt Euch die 20 beliebtesten und größten deutschsprachigen Youtube-Kanäle und schaut Euch wirklich mal die Inhalte an, auch die von Zweit- und Drittkanälen der entsprechenden Influencer. Schaut, wer mit wem was und warum macht, welchen Sinn das ergibt und was denn nun so bahnbrechend anders sein soll, als die Doku- oder Reality-Soap-Formate von RTL(2). Und vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, macht sich der eine oder andere von Euch einmal Gedanken darüber, mit was für konsumierten Inhalten er/sie/es viele, viele Stunden des eigenen Lebens scheinbar „sinnvoll“ füllt.

Natürlich kommt selbst der banalste Blödsinn sauber gestylt daher. Lassen wir das Beauty-Gedöns mal beiseite, dass wurde schon zur Genüge in die Mangel genommen. Gemeinsames Adventskalender-Testen (WTF), „Ich-kann-nicht-kochen-und-mache-nur-Chaos-in-der-Küche-Show“, „Wir-packen-gemeinsam-meine-neuen-Schuhe-aus“, „Schaut-mal-mein-geiles-neues-Auto“, „Ich-kann-jetzt-5km-am-Stück-laufen“, „Wir-filmen-uns-beim-Autofahren-essen-Fastood-und-reden-über-unsere-schwere-Jugend“…ich glaube, wir beenden diese Liste an nicht mehr zu überbietenden Banalitäten hier einfach. Da ist es nun auch nicht verwunderlich, dass auch der sogenannte gemeine Klo-Talk zu den Erfolgs-“Formaten“ gehört. Dabei ist die Redundanz dieser Inhalte mit „völlig überzogen“ noch untertriebe.

„Ist das jetzt wieder eine von diesen standardisierten und unreflektierten Social Media-Kritiken prechtscher Bauart?“ höre ich es in der Rezipientenschaft schon raunen. Nein, dass ist es nicht. Ganz banal könnte man es wie immer mit „Der Markt entscheidet“ formulieren. Der Erfolg gibt den Initiatoren dieser Machwerke ja recht und Youtube, Tiktok und Instagram sind lediglich die Distributionskanalisation dieses geistigen Dünnschisses.

Nur, wo soll uns dieser Rant dann hinführe? Auf die andere Seite, geehrte Leser! Auf die Seite der Empfänger, die sich so euphemistisch immer „die Community“ nennt. Der Fachmann würde sie als mal mehr mal weniger zahlungskräftige Melkkuh bezeichnen. Das ist aber gar nicht der Punkt, auf den ich an dieser Stelle hinaus will. Vielmehr lässt einem die pure Zahlenmagie hinter diesem Panoptikum des Schwachsinns nicht nur rat- und fassungslos zurück. Nein, sie wirft durchaus ein interessant-schockierendes Bild auf den intellektuellen Zustand unserer Gesellschaft. Lassen wir die Social Media Kanäle großer Unternehmen und Produktionen mal beiseite (ÖR, Musik-Labels, Kino und TV, etc.) und schauen uns einfach nur die Abonnementendzahlen, Follower und Inhaltsaufrufe berühmt-berüchtigter vorgeblicher „Einzel“Influencer an, so müsste man auf die Idee kommen, dass jeder Mitbürger dieses Landes und der Nachbarländer, die der deutschen Sprache mächtig sind, gleich mehreren eben dieser folgt. Dem kann man entgegen halten: „Nö“. Wir haben immer noch einen Großteil alternder digitaler Analphabeten (die sogenannte Generation „Kannst Du mal nach meinem PC schauen, ich glaube, ich habe das Internet gelöscht“) sowie einen geringen Teil an Mitmenschen, die sich zwar online bewegen, der allgemeinen Verblödungsmaschine aber konsequent ausweichen.

Folglich muss also ein nicht geringer Teil gleich mehreren Influencern folgen. Schaut man sich dann mal die Klickzahlen auf dem eigentlich Video-Content an und addiert diese auf, stellt man fest: Es muss sehr, sehr, sehr…wenn nicht sogar noch mehr Menschen geben, die ihr bisschen Zeit, welche sie haben, damit totschlägt, die oben fein seziert dargelegten absolut mehrwertfreien Inhalte nebst dazugehörigem Merch zu massenkonsumieren. Und ich meine an dieser Stelle nicht ausschließlich die Gruppe der Pubertiere, die man ja aufgrund ihres eh schon vorübergehend grenzwertigen geistigen Zustandes fast schon entschuldigen kann. Nein, die Konsumentengruppen reicht von Kindergartenkind (die kann man ja mit Youtube so schön ruhig halten) bis zum Neurentner. Der Dreck wird mehr oder weniger gleichmäßig über alle Bevölkerungsgruppen hinweg ausgeschüttet.

Was also ist der Kern, die Quintessenz, die „Summa Summarum“? Relativ simpel: „Unterschichten-TV hat gewonnen“!

Tagtäglich kann man online verfolgen, wie Menschen sich immer noch über die billigen und plakativen Inhalte der Springer-Presse (namentlich „Bild“-Zeitung und Co.) oder über Inhalte und Sendungen diverser TV-Verblödungsanstalten echauffieren. Germanys Next Top Modell im Dschungelcamp wird gefrauentauscht zum Perfekten Promi Dinner im Big Brother Container. Alles gehöriger Nonsens und Idioten-TV, glaubt man der breiten digitalen Kommentarstimme. Trotz allem werden auch diese Inhalte wiedergekäut und dann zum Rudelgucken innerhalb der „Community“ mit dem Influencer als Moderator recycelt und reihen sich damit ein in den absolut sinnfreien zu konsumierenden Content eben dieser Beeinflusser-Maschinerie. Was hat man dem sogenannten Unterschichten-TV nicht alles vorgeworfen: „befriedigt den gemeinen Voyeurismus“, „entblößt Menschen, die die Konsequenzen nicht abschätzen können“, „Lust am Verlierertum“ und noch vieles mehr.

Und jetzt? Jetzt haben wir all dies in vielfach amplifizierter Form mit einer wohl um einiges größeren Zielgruppe, als es sich die Profis in den 90ern hätten jemals vorstellen können. Und der Markt gibt noch wesentlich mehr her, als eine reine Zuschauerquote. Man kann mit diesem Schnodder auch Tassen, T-Shirts und Handyhüllen verkaufen und einen Personenkult erschaffen, der selbst das „Jürgen & Zlatko“-Phänomen der Jahrtausendwende wie einen mickrigen Anfänger-Versuch aussehen lässt.

Die Zeit, die ein nicht unbeträchtlicher Teil unserer Gesellschaft damit verbringt, sich die eigenen Hirnwindungen von solch sinnfreiem Gewäsch verkalken zu lassen, ist nicht unerheblich. Wir reden hier nicht von Minuten. Für viele ist es eine freizeitfüllende Beschäftigung, die Inhalte all ihrer abonnierten Influencer nach- und aufzuholen.

„Aber kann es Dir nicht egal sein“, könnte jetzt der ein oder andere Leser hier fragen. Könnte es vielleicht, wenn ich als Eremit in irgend einer Höhle in den Bergen wohnen würde und jeglichen Kontakt mit meinen Mit…was auch immer vermeiden könnte. Das ist aber nicht der Fall. Wir müssen in dieser sich selbst geistig verstümmelnden Gesellschaft klar kommen. Wir werden diesen Nicht-Inhalten, diesem Nonsens ausgesetzt, egal ob wir es wollen oder nicht. Denn es ist auch Zeitgeist (wobei da jeder Geist schon lange verflogen ist) und wohl auch „kulturelle“ Referenz, die in der Interaktion mit anderen seltenst ausgeklammert werden kann. Schon gar nicht wenn man Kinder hat, denen man irgendwie verklickern muss, dass vielleicht nicht Alkohol oder Cannabis die Zukunft ihrer Hirnwindungen bedrohen, sondern irgendwelche grenzdebilen Influencer.

Ich mag keine abendfüllenden Diskussionen über den x-ten Minecraft-Influencer oder das y-lonte React auf das z-te „Märchen in asozial“ von… naja, ihr wisst schon.

Das wir mit diesem Müll auch noch ökologischen Schindluder betreiben (noch mehr Social Media-Datacenter mit noch mehr Kapazität für noch mehr digitalen Schmronz) ist da nur noch eine Randnotiz, sogar eine für die, die sich zwar Nachhaltigkeit auf ihre Influencer-Fahne geschrieben haben, aber die Datenleitungen und Server dieser Welt mit jedem unnützen Furz, den sie mitteilen müssen, weiter belasten).

Wessen Lebensinhalt all dies ist und wer dies alles ohne Kritik und Reflexion hinnimmt, der möge gerne auf dieser Straße weiterfahren. Es ist dann genau so Euer Problem, wie wenn Ihr ausschließlich mit Bier, Chips und Fastfood auf der Couch versauert, weil es eigentlich ganz schön ist und dann einfach mit Mitte 30 mit einem Herzkasper aus den Latschen kippt. Jeder ist für den Inhalt seines Lebens selbst verantwortlich.

Aber dann seid bitte so ehrlich und gesteht Euch ein, dass Ihr ein Teil des Problems seid und nicht die Lösung. Wenn Ihr Scheiße fresst und Euch nicht um Euch kümmert, ist der körperliche Verfall keine „Wenn“ sondern eine „Wann“-Frage. Wenn Ihr Eurem Hirn dauerhaft geistigen Müll vorwerft, ist der mentale Effekt derselbe, nur dass Ihr Euch immer noch für fit haltet, weil ihr nicht merkt, wie ihr Euer Hirn langsam verdaut. Euer Output wird allerdings in der Regel dann für andere sehr anstrengend und mitunter sehr ungenießbar.

Und jetzt? Wie geht es weiter? So wie immer. Entscheidet selber, was Ihr daraus macht. Als kleine Anregung meinerseits: Man könnte sich ja auch bei dem Konsum geistigen Futters ein wenig ernährungsbewusster verhalten. Man weiß, das Fast Food ungesund ist, also versucht man es auf ein „unbedenkliches Maß“ zu reduzieren. Man weiß, dass, wenn ich nicht auch nachhaltig einkaufe, ich für Umwelt, Tierhaltung, etc. negative Effekte und nicht nachhaltige Erzeuger unterstütze.

Wäre es nicht geradezu großartig, mit dieser Art von Bewusstsein auch an die eigene mentale Gesundheit heranzugehen oder vielleicht sogar einen Nachhaltigkeitsgedanken für geistigen Zustand der Gesellschaft zu entwickeln? Von Leistung will ich hier noch gar nicht sprechen, denn das würde dann ja schon so etwas wie Training erfordern. Mir persönlich würde es schon reichen, wenn wir den totalen geistigen Herzinfarkt unserer Gesellschaft im besten Fall vermeiden oder zumindest möglichst lange herauszögern könnten, auf das die Idiokratie erst mal weiterhin eine Dystopie bleibe.

Alleine, die aktuelle Realität stimmt mich diesbezüglich ein wenig pessimistisch und nicht nur die 6 Kilogramm, die im Durchschnitt in den letzten zwei Jahren zugenommen wurden, sind ein gesundheitlich-gesellschaftliches Problem, von daher…

…Over & Out. See you in 2023.

Survival Is Insufficient – des Jahres-End-Rant dritter Teil

Es ist Zeit! Zeit für das Finale meines diesjährigen Rants, aber vor allem Zeit mal darüber zu reflektieren, wo wir in den nächsten Wochen, Monaten oder Jahren hin schlittern werden. „Survival Is Insufficient“ – welch Zitat einer ehemaligen Borg-Drohne könnte passender sein. Auch wenn „Überleben“ offenbar momentan der einzig gültige und scheinbar in der breiten Masse akzeptierte Narrativ zu sein scheint, wäre es für den einen oder anderen doch gar nicht mal schlecht, den Kopf zu heben und ein wenig weiter als auf die zwei Meter Straße vor ihm zu Blicken.

„Das Jahr, in dem wir auf Zahlen starrten.“ Auch so ließe sich 2020 zusammenfassen. Selten habe ich eine Bevölkerung außerhalb von Sport- und Wahlgeschehen so fixiert auf Statistiken erlebt. Und ähnlich wurde es auch gehandhabt. Indizes, R-Werte, Hitlisten von Infektionsstandorten, Neuinfektionen pro Tag, Woche, Minute. Diskussionen darüber, wer das bessere Ergebnis, die besseren Zahlen liefern kann. Jeden Morgen der Bericht im Radio bei dem verkündet wurde: 14.312 mehr Infizierte, 545 mehr Tote. Schweden macht es besser, nein schlechter, Österreich hat verloren, die Italiener haben eine harte Klatsche bekommen, wir sind Weltmeister. Alles bis ins kleinste statistische Detail und auf die 10 Nachkommastelle genau berechnet. Der Mehrwert für die breite Masse? Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, aber zumindest hat es den Fakt offengelegt, dass wir eklatanten Nachholbedarf in der Bildung beim Umgang mit Statistik haben.

Die Zahlen selbst sollen aber auch gar nicht das Thema sein (Ihr erinnert Euch? Im ersten Teil sagte ich, dass wir uns frühsten in einigen Jahren darüber unterhalten können). Vielmehr hat mich verstöre, wie sehr doch ein Gros der Bevölkerung vor diesen Zahlen saß und darauf starrte und immer noch starrt, wie das Kaninchen auf die Schlange. Diesen Zahlen kann man bis heute – und vermutlich auch noch weit in die nächsten Jahre hinein – einen gewisse göttliche Macht nicht absprechen. Sie entschieden über Mehl-, Nudel- und Klopapierkonsum, haben zu mehr Auseinandersetzungen geführt als Lokalderbies zwischen Dortmund und Schalke oder Frankfurt und Offenbach und haben sogar die Fähigkeit langjährige Freundschaften und Beziehungen zu zerstören. Warum? Weil jeder glaubt, aus diesen Zahlen die ultimativ göttliche Wahrheit herauslesen zu können. Und wenn nicht, dann hat man exponentielle Wachstum „nicht verstanden…“ (siehe Teil II des Rants).

Letztendlich ist es halt, wie mit dem Fahrrad im Straßenverkehr: Man starrt auf die zwei Meter Asphalt genau vor sich und knallt dann in die Stoßstange des LKWs, dessen plötzliches Bremsen man übersehen habt. Aktuell ist jeder mit „Überleben“ und „Leben retten“ beschäftigt. Ist ja auch recht einfach, dieses „Leben retten“. Erreicht man ja durch absolute Passivität. Aber um Lisa Eckhart mal zu zitieren: „Ihr rettet keine Leben. Ich bringt nur niemanden um und das ist doch das Mindeste, was man erwarten darf.“

Die Frage, die sich bei dem Blick auf die metaphorische Schlange aber wohl die Wenigsten stellen (denn das ist aktuell verpönt, da man ja gefälligst mit „Überleben“ beschäftigt zu sein hat). Wie geht es in 10 Metern weiter, in einem Kilometer, in 100 Kilometern? Genau so wenig, wie die eine Seite akzeptiert, dass es eine medizinische Ausnahmesituation ist, weigert sich die andere Seite zu akzeptieren, dass wir gerade an einem radikalen Scheideweg für unser Miteinander stehen und wir unsere Gesellschaft wie wir sie vorher hatten, so nicht mehr zurück bekommen werden. Und nein, sie wird auch nicht besser werden.

Schaut Euch mal um und seit mal ehrlich zu Euch selbst: Wie viele Freundschaften und langjährige Beziehungen in Eurem Umfeld hat dieses Jahr nachhaltig negativ beeinflusst? Wie viele Menschen, die Euch nahe stehen oder nahe gestanden haben, habt ihr inzwischen mental insgeheim als Idioten, Leugner, Extremisten abgestempelt? Wie viele „Freunde“ habt Ihr aus Kontaktlisten und Social-Media Accounts entfernt oder geblockt? Und vor Allem: Traut Ihr Euch noch, mit Bekannten und Freunden offen über die Themen wie unsere Pandemie-Politik, Maßnahmen, etc. zu reden? Oder überlegt ihr Euch sehr genau, was Ihr von Euch gebt, weil Ihr nicht genau wisst, wie der andere tickt und was dessen Meinung ist?

Lasst mich an dieser Stelle absolut ehrlich mit Euch sein: Ich habe dieses Jahr sehr oft erlebt, wie Menschen, teilweise sogar sich sehr nahe stehende, mit diversen Meinungen zu der Situation und den Maßnahmen bei Gesprächen sehr sehr vorsichtig umeinander herum laviert sind. Man wusste ja nie, wie die andere Seite denkt, ob man mit seiner Meinung vielleicht in der Minderheit ist und ob auch nur das leiseste Anklingen einer nicht konformen Meinung zu zwischenmenschlichen Totalkatastrophen führen würde.

Da bleibt mir nur zu sagen: Zu spät! Wir haben es bereits geschafft, eine zwischenmenschliche und soziale Totalkatastrophe herbeizuführen. Wir haben es, auch mit Hilfe der Medien, geschafft, selbst in engsten Freundeskreisen misstrauisch und ängstlich zu agieren. Wir trauen uns nicht mehr, uns offen auszutauschen, weil wir ganz schnell jemanden mit unliebsamer (oder seit diesem Jahr auch gerne „gefährlicher“) Meinung in eine der bereit gestellten Schubladen sortieren: Covidioten, Lockdown-Fetischisten, Querdenker, Nazis, Corona-Leugner, etc.

Es wird sich nicht einmal mehr die Mühe gemacht, zu unterscheiden, ob nur hinterfragt wird, ob eventuell vielleicht nur sogar ein Aspekt von der eigenen Meinung abweicht. Nein, es wurde ein globaler Beißreflex herangezüchtet, etwas, was es in dieser radikalen Form in den letzten Jahrzehnten in diesem Ausmaß nicht gab.

Wir sollten – gerade in unserem Land – eigentlich hellhörig werden, wenn wir selber merken, dass wir bei Gesprächen und Diskussionen mit Freunden, Bekannten, Nachbarn immer vorsichtiger und zurückhaltender bezüglich der eigenen Meinung werden. Könnte der andere denken, dass man die falsche Gesinnung hat? Wem könnte er das erzählen? Und schon sind wir an der Stelle, wo wir eine öffentliche Fassade produzieren, die unsere „Mit“menschen von uns zu sehen bekommen (ja, auch die uns näher stehenden) und wir mit unseren Meinungen und Zweifeln alleine umgehen müssen.

„Survival is Insufficient“ – mit dieser Prämisse bin ich heute gestartet. Und genau hierauf komme ich jetzt zurück. Irgendwann wird die aktuell pandemische Situation vorüber sein (zumindest vorübergehend), dann haben wir sie medizinisch im Griff. Dann mögen die finanziellen Aufräumarbeiten beginnen. Und dann? Die gesellschaftlichen Schäden, die wir hinterlassen haben, werden sich nicht einfach in Nichts auflösen. Die ehemaligen Freunde, die sich gegenseitig als Idioten und asoziale Arschlöcher bezeichnet haben, werden sich nicht einfach wieder in die Arme fallen, denn das, was hier gesät wurde, ist ein grundlegend tiefes Misstrauen. Jemanden, den Ihr für Euch als geistig als Flachpfeife abgestempelt habt, wird es hinterher nicht weniger sein. Die Distanz wird bleiben. Was gedacht wurde, kann nicht ungedacht gemacht werden.

Wir haben es geschafft, entlang vieler Kanten in unserer Gesellschaft Sollbruchstellen entstehen zu lassen. Es ist genau das Gegenteil von dem passiert, was uns unsere Populismuströten gerade verkaufen wollen: Wir sind weder enger zusammen gerückt noch sind wir solidarischer geworden. Im Gegenteil. Wir sind vorsichtig geworden, viele haben eine Fassade aufgebaut, nicht nur die, die der allgemeinen Meinung entgegen, sondern auch die, die der allgemeinen Meinung hinterherlaufen und sich durch besonderen Enthusiasmus beim öffentlichen Ausleben all der Maßnahmen auszeichnen, wenn man dann aber unter sich ist, gerne auch Fünf mal gerade sein lassen.

Die Frage, die sich mir stellt: Will ich in einer solchen Gesellschaft leben, bzw. kann ich es? Es mag extrem klingen, aber überleben ist für mich eben nicht das einzig Entscheidende. Man kann sich an viele Gegebenheiten anpassen, aber es war nie meine Sache, mich nach unten zu orientieren. Jemand, der in einem anderen gesellschaftlichen System aufgewachsen ist, mag damit klar kommen. Aber auch das ist vielfach nicht der Fall, ansonsten hätten wir nicht einen stetigen Strom an Flüchtlingen, die nicht nur Überleben, sondern BESSER leben wollen. Wie ich schon an anderer Stelle schrieb: Ich könnte in einem totalitären System nicht existieren.

Leben ist mehr als die pure Existenz. Viele merken dass hier noch nicht, weil Morgens immer noch ausreichend Nutella und fünf Sorten Wurst auf dem Tisch steht, man sein Hirn immer noch per Videostreaming und Online-Gaming ins Standby schalten kann und man sich selbst immer noch in die Tasche lügt, dass wir das alles ganz toll machen.

Nein, machen wir nicht! Der LKW hat bereits gebremst, wir starren auf die zwei Meter dunklen Asphalt vor uns und rasen auf die Stoßstange zu. Diejenigen, die aktuell einen Blick weiter nach vorne werfen, halten den Mund, weil es gesellschaftlich momentan nicht akzeptiert ist, auf den bevorstehenden Einschlag hinzuweisen. Immerhin sind wir gerade damit beschäftigt, Leben zu retten.

Vermutlich wird sich ein nicht kleiner Teil danach irgendwie mit dem, was wir dann als unsere Gesellschaft bezeichnen vorübergehend arrangieren können. Schön für Euch. Für mich ist es die erwähnte Zahnpasta, die wir da raus gedrückt haben. Wir werden immer mehr von Shitstorms, Twitter-Mobs und öffentlicher Empörung gesteuert und gerade wird das nächste Stockwerk im Konstrukt dieser Mechanismen aufgelegt. Ich will das nicht!

„Survival is Insufficient“ – ein Zitat aus einer Star Trek Voyager-Episode, in der Seven-Of-Nine darüber entscheiden musste, das Leben dreier ehemaliger Borg-Drohnen zu retten, in dem sie sie dazu verdammte, einfach nur im Kollektiv zu existieren, oder ihnen Individualität zuzugestehen, auch wenn dies deren Ableben nach wenigen Monaten zur folge hatte.

Ich habe, genau wie jeder andere auch, keine Ahnung, was das nächste Jahr bringen wird. Ich habe keine Ahnung, wie lange wir den aktuellen Zustand aufrecht erhalten können oder wann die Menschen an ihre mentalen, körperlichen und wirtschaftlichen Grenzen kommen werden. Ich weiß aber, was dieses Jahr mit vielen von uns gemacht hat, bei einigen bewusst, bei anderen unbewusst.

Was ich mir für 2021 wünsche? Mehr Reflektion, mehr Voraussicht und vor allem, dass viele sehen mögen, dass die Gesellschaft in der wir leben, keine Naturkonstante ist, sondern historisch gewachsen, dass der Grund, warum wir trotz dieser ausgedehnten Pandemie nicht in einem wirtschaftlichen und medizinischem Totaldesaster enden, ein Gemeinschaft ist, die vielleicht doch so viel nicht falsch gemacht hat. Wir sollten vor lauter „Leben retten“ nicht vergessen, dass das auch in Zukunft nur funktioniert, wenn wir leben und nicht nur existieren. Ich möchte nicht in einer Welt voller sozialer Krüppel leben, in der es nur noch darum geht, sich immer wieder nur für Schwarz oder Weiß entscheiden zu müssen und alle anderen Schattierungen zu verdammen, in der ein normatives Sozialpunktesystem durch die Konditionierung der Breiten Masse etabliert und die bloße Existenz zum Dogma erklären wird. Ihr vielleicht?

So, das war‘s. Over & Out 2020. Schauen wir, was uns 2021 so über unsere Mauern wirft. Vielleicht sehen wir uns, in Eurer, meiner oder unserer Welt. It‘s up to you…

Bigotterie für Fortgeschrittene – des Jahres-End-Rant zweiter Teil

Wo war ich gestern stehen geblieben? Ach richtig! Die Tatsache, dass Krisensituationen den wahren Kern einer Gesellschaft oder zumindest Teile einer Gesellschaft gnadenlos offenlegen. Den Katalysator dafür liefern zumeist die Medien in jedweder Form, egal ob On- oder Offline. Sie liefern das Gedankengranulat, welches dann dazu verwendet wird, einen vermeintlichen Diskurs zu führen oder pauschal mit intellektuellen Dumm-Dumm-Geschossen (Wortspiel beabsichtigt!) diesen gnadenlos zu polarisieren. Und damit auch das „Bildungs“bürgertum sich nicht überfordert zeigt, kommt dieses Rohmaterial fast ausschließlich in Form von #Hashtags und kurzen prägnanten Parolen daher.

Es ist wohl kein Geheimnis, dass man durch die Technik der absoluten Reduktion aufs syntaktische Minimum einen Rezipienten beim Verstehen eines Satzes absolut jedwede geistige Leistung abnehmen kann. „Erst zahlen, dann fahren“, so steht es in vielen Parkhäusern an der Wand und offenbar hat sich dieser Minimalismus bisher bewährt. Nebenbei ist die Verwendung eben dieser Technik ein gängiges Mittel jedweder Form von Propaganda, sowohl politischer als auch kommerzieller, gerne auch Werbung genannt. Die moderne Online-Variante dieser Methodik ist der imperative Hashtag: #StayTheFuckHome, #WashYourHands, #DistanceYourself, etc. Das absolut Fantastische an diesen Tags ist, dass man sich damit scheinbar an jedweder Diskussionen beteiligen kann und diese als valide Argumente behandelt werden müssen. „Ich würde gerne über Sinn und Zweck von….“ – „Du hast nichts verstanden, #StayTheFuckHome“. Und jetzt darf jeder gerne mal raten, wer sich bei diesem kurzen Beispiel als „geistig überlegen“ gefühlt hat.

Prinzipiell hat jeder, der über den Kontext und die Inhalte von Hashtags diskutieren will, „nichts verstanden“. Egal ob bei #MeToo, #BlackLiveMatters oder #StopEatingMeat. Die Reduzierung von komplexen und vielleicht zu reflektierenden Sachverhalten auf einige Schlagworte ohne die Notwendigkeit darüber zu reflektieren ist einer der großen Meisterleistungen der (sozialen) Medien. Mechanismen, von denen man glaubte, dass sie in den dunklen Tiefen der Geschichte auf Nimmerwiedersehen entschwunden wären, zeigen sich plötzlich als ausgesprochen funktionell. Und es funktioniert wunderbar und unterbindet jede Form von gedanklicher Nachbetrachtung.

„Jedes Leben zählt.“ So tönte es, von der Bundeskanzlerin, von Söder und von so manch anderer populistischen Opportunistenflöte. Ein schöner Satz, oder? Kurz, prägnant, eingängig, eines Hashtags würdig. Wer will diesem widersprechen, wäre es doch „asozial“ (gute Güte, was heutzutage alles asozial ist) genau dies mal genauer zu durchleuchten und zu hinterfragen. Braucht man aber gar nicht. Diverse Nachrichtensendungen, Portale und Printmedien nehmen einem diese Arbeit gerne ab, man muss nur mal ein wenig weiter lesen, hören oder schauen, als bis zum Schlagwortverzeichnis.

Eigentlich hätte die Tatsache schon gereicht, dass dieser von unserer politischen Elite verzapfte Hashtag genau in dem Zeitraum geprägt wurde, als man sich europaweit in Regierungskreisen darüber stritt, wie man nach dem Auftreten von COVID-Infektionen mit den über 15.000 Flüchtlingen im Lager Moria umzugehen habe. Nein nein, ganz ehrlich, „Jedes Leben zählt!“ Dafür setzen wir 2020 Himmel und Hölle in Bewegung, und zwar in jedem verdammten Land der EU, ach was, weltweit. Aber wir streiten uns Wochen darüber, ob und wie 15.000 Flüchtlinge in Europa verteilt werden könnten. 15.000 geteilt durch 27 (die Anzahl der EU-Mitgliedsstaaten)! Das sind pro Land 555,55 Menschen. Na ja gut, dann vielleicht ein Paar Familien mit Kindern? Alte? Hmm Alte? Nee, das sind schon zu viele, die belasten unser System! Aber jedes Leben zählt. Oder haben wir da was falsch verstanden? Haben wir vergessen, den Relativsatz dahinter zu lesen? Wissen wir nach all den Hashtags überhaupt noch, was ein Relativsatz ist? Hieß es nicht vielleicht „Jedes Leben, welches Steuern zahlen kann, zählt?“ Oder „Jedes Leben, dass uns Wählerstimmen bringt, zählt?“.

Ach so, fast hätte ich es vergessen. Die Diskussion müsste ich ja an dieser Stelle mit dem Phrase „#Whataboutism, Du hast nichts verstanden…“ beenden, oder? Sorry, so funktioniert das nicht, denn die einzig valide Möglichkeit, die Diskrepanz zwischen der Handlung und dem Gesagten aufzuzeigen, ist diese auf ihre Allgemeingültigkeit zu überprüfen. Wer hier glaubt, so etwas mit „#Whatbaboutism“ unterbinden zu können, der hat nichts verstanden. So ähnlich verhält es sich übrigens mit dem allseits beliebten „Dunning-Kruger-du-hast-keine-Ahnung-glaubst-es-aber“-Totschlagargument. In 90% aller Fälle hält der Diskutant seine argumentative Pistole falsch herum.

Zurück zum Thema: Aber das ist ja nur ein ganz schwaches und singuläres Beispiel könnte man entgegenhalten. Ist es das? Diskutieren wir ganz leise im Hintergrund nicht noch immer darüber, ob und wie viele Flüchtlinge man aus dem Mittelmeer fischt? Genehmigt unsere Regierung nicht immer noch milliardenschwere Waffengeschäfte mit Ländern, deren Definition von zivilisiert nicht unbedingt deckungsgleich mit unserer ist? Haben uns die Epidemien, Bürgerkriege und Menschenrechtsverletzungen der letzten Jahrzehnte auch Ansatzweise dazu bewegt, mehr zu tun, als den Zeigefinger zu heben und ein paar Milliönchen locker zu machen, um „das Schlimmste“ abzuwenden? Waren wir auch in diesen Fällen daran interessiert, „jedes Leben“ zu retten, und wenn es nur für ein paar Jahre ist? Oder haben wir all das zu Gelaber verkommen lassen, weil es „nicht hier“ passiert ist?

HIV war der epidemische Schrecken der 80er. Der ein oder andere mag sich noch daran erinnern. Wie kommt es eigentlich, dass wir uns heute und hier darüber keinen oder nur noch sehr wenig Kopf um diese Krankheit machen? Dagegen impfen kann man bis heute schließlich nicht. Nein, aber wir haben inzwischen Therapien, die es ermöglichen, dieses Virus so gut unter Kontrolle zu bringen, dass fast jeder damit ein normales Leben führen kann und bei erfolgreicher Behandlung nicht mal mehr infektiös ist. HIV ist nicht mehr das tödliche Schreckgespenst, dass es für uns alle vor 35 Jahren war. Ja, für UNS. Trotz alle dem sind dieses Jahr wieder ungefähr 1.6 Millionen Menschen weltweit aufgrund von HIV gestorben, so wie jedes Jahr in der vergangenen Dekade auch. Warum? Keine Ahnung. Aber offensichtlich zählt halt doch nicht jedes Leben, sondern nur die, die das Glück haben, im richtigen Land geboren worden zu sein.

„Wenn wir gewollt hätten, hätten wir dieses Virus in den Griff kriegen können.“ Auch eine beliebte Floskel aus den aktuellen Diskussion-Blase. Hätten wir? Es könnte genau so gut auf HIV zutreffen, oder Malaria, oder TBC. Wollten und wollen wir aber anscheinend nicht, weil es hier für den einzelnen kein Problem mehr darstellt und es „woanders“ statt findet. Wenn wir hier sagen „Jedes Leben zählt“ dann steht da eigentlich „unser Leben zählt.“ Die Solidarität geht genau so weit, bis das Problem aus unserem Dunstkreis, aus unserem Sichtfeld verschwunden ist. Wenn WIR unseren Impfstoff haben, dann wird es uns nicht mehr interessieren, ob irgendwo im Südkongo gerade mal wieder eine COVID-Variante durch einen Landstrich tobt und es wird keiner danach fragen, ob „diese Leben zählen“. Warum? Weil es nie anders war.

Der ein oder andere mag mir hier an der Stelle Bigotterie vorwerfen: „Aber du verhältst dich doch genau wie jeder andere auch, dir war es ja auch egal.“ Richtig, ich habe mich wie jeder andere auch verhalten. Ich konnte und kann damit leben. Ich stelle mich aber auch nicht 2020 hin und intoniere dieses Mantra und zwar, weil ich genau weiß, wie verlogen und bigott das ist. Es werden weiter Waffen exportiert werden, es wird weiter diskutiert werden, ob man Flüchtlinge in Lager steckt, verteilt oder einfach im Mittelmeer ersaufen lässt, kein Land der Welt wird einfach mal 1 Milliarde Euro locker machen, um in den Entwicklungsländern zumindest eine dort schwer wiegende Krankheit auszurotten. Auch bei uns wird man, wie bisher, auf die wirtschaftlichste Behandlungsmethode von Krankheiten zurückgreifen und nicht auf die Beste (wenn man es nicht selber bezahlen kann)! Nichts wird sich danach ändern. Warum? Weil es immer schon so war. Und weil es den Meisten heutzutage nicht mehr wert ist als ein wenig heiße Luft in der Social Media Blase.

Solidarität? Gibt es nicht. Oder besser gesagt, sie wird so lange eingefordert, bis sie einem im Weg steht und unbequem wird. Alleine die Diskussion, welche jetzt nach Verfügbarkeit eines Impfstoffes entsteht („wenn ICH geimpft bin will ICH meine Rechte zurück, die anderen kann man dann einschränken, bis sich diese gefälligst auch solidarisch verhalten“) demaskiert eine weitere hässliche Fratze im Kern unserer Gesellschaft. Wahre Solidarität gibt es nicht, denn diese ist bedingungslos und freiwillig. Man kann darum bitten. Sie zu fordern oder gar zu erzwingen ist genau das Gegenteil dieses Konzeptes. Das, was die Allgemeinheit heutzutage darunter versteht, ist lediglich eine Maske für die Sicherung der Eigeninteressen, und sei es nur, um nicht durch irgend ein soziales Raster zu fallen, denn wer sich heutzutage nicht-solidarisch zeigt, bekommt dann in nicht wenigen Fällen den Stempel „asozial“ in sein gesellschaftliches Bonusheft gedrückt, unabhängig von den persönlichen Beweggründen.

Wird dieser zweite Teil meines Jahres-End-Rants irgend etwas ändern? Wird dadurch irgend etwas besser? Mit Sicherheit nicht. Man wird weiter von Hashtags belästigt werden, populistische Floskeln nachplappern, sich nicht darum scheren, was passiert, wenn wir erst mal „unsere Probleme“ im Griff haben (außer natürlich dazu wieder neue Hashtags zu posten und moralisch auf Solidarität pochen). Es dreht sich alles im Kreis und es wäre schon viel gewonnen, wenn der Einzelne sich einmal eingestehen würde, wie verlogen, wie scheinheilig dies doch alles ist.

Bin ich jetzt an dieser Stelle mit meinem Résumé am Ende? Nein! Wie angekündigt hat dieses Jahr genug Material für eine Trilogie (vermutlich sogar für mehr) ausgeworfen.

Wird es gelesen werden? Keine Ahnung, ich habe es ja bisher nicht geschafft aus Teil #1 und Teil #2 einen Hashtag zu kreieren, also vermute ich mal, dass es wohl niemand schaffen wird, bis zu diesem Schlusssatz zu gelangen. Falls doch: Herzlichen Glückwunsch, Du hast es geschafft Dich durch einen meiner Brain-Dumps zu arbeiten, das ist bei weitem nicht jedem gegeben.

Wir lesen uns im dritten und letzten Teil der Tragödie. Und wie wir alle wissen: Tragöden zeichnen sich dadurch aus, dass am Ende alle…na gut, sehr viele…tot sind.