Die Pille fürs Ego und die Chemie des Selbstbetrugs

Eigentlich ist es ja ein ausgelutschtes Thema: regelmäßig werden in der Zeit vor Olympischen Spielen alte Dopingskandale neu aufgerollt und medienwirksam präsentiert und nebenher noch jede Menge neue Fälle, Sünder und die Machenschaften ganzer Verbände enttarnt. Wirklich überraschend ist nichts davon, denn “geahnt hatten wir es schon immer”. Dabei geht aber ein Phänomen völlig unter – eines, dass auch psychologisch hoch interessant ist und tiefer blicken lässt, als es so manchem lieb wäre.

Sind wir ehrlich: Wer war wirklich vom Fall Lance Armstrong überrascht, wem waren die “Frauen” der chinesischen Schwimm-Nationalmanschaft nicht schon immer suspekt und ist es wirklich so verwunderlich, dass es im russischen Leichtathletik-Verband wohl eine eigene Task Force für pharmazeutische Leistungssteigerung gibt? Doping ist so alt wie der Spitzensport und die Tatsache, dass es die Professionalisierung diverser Sportarten zugenommen hat und weiterhin zunimmt, hat mit Sicherheit nicht dazu geführt, dass der Missbrauch leistungssteigernder Mittelchen irgendwie stagniert wäre. Die einzig interessante Frage, die hier bleibt wäre wohl nur, was denn die Olympioniken der alten Griechen vor ihren Wettkämpfen so alles eingeworfen haben um ein wenig schneller flitzen zu können als der ein oder andere Römer.

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Die Verwendung diverser Mittelchen und Methoden pharmazeutischer Herkunft lässt sich im Spitzensport und vor allem im Profibereich sogar noch halbwegs plausibel erklären und dass sogar ohne das man Verständnis oder sonstige seltsame Dinge dafür aufbringen müsste: Es geht schlicht und einfach um die eigene Existenz, bzw. in Sportarten, in denen etwas mehr Geld im Spiel ist, die Wahrung und/oder Verbesserung des eigenen Marktwertes. Das fängt an beim kenianischen Langstreckenläufer, dem die Berufung in das nationale Team die Lebensgrundlage für seine gesamte Familie über Jahre hinweg sichert und hört auf beim millionenschweren Radprofi, dem ein weiterer Tour-Sieg noch das ein oder andere Milliönchen zusätzlich in die Kasse spült. Von der Befindlichkeit des Nationalstolzes so mancher Verbände möchte ich an dieser Stelle gar nicht erst anfangen, aber auch dies geht und ging ja immer mit einer monetären Veränderung (und bei so manchem Regime natürlich auch der Chancen im späteren Leben des Sportlers) einher.
Also, ist das unmoralisch (vielleicht sollte man besser unfair schreiben, da Moral ja immer etwas sehr Subjektives ist), wenn ich “nur” versuche, meine berufliche Existenz (egal auf welchem Level) zu sichern? Mit absoluter Sicherheit, denn durch den eigenen Betrug verwehre ich eben diese Existenzsicherung meinen Mitbewerbern, die genau so davon leben müssen und im Grunde nur zwei Möglichkeiten haben: Mit dem Nachteil leben lernen oder das hässliche Spiel mitspielen. Was passieren kann, wenn sich eine ganze Sportart dafür entscheidet Variante 2 zu wählen, konnte man in den letzten Jahren eindrücklich beobachten.
Wie dem auch sei, materialistische Gründe sind psychologisch nicht besonders schwer nachzuvollziehen und können in vielfacher unschöner Auswirkung sowohl in der Sport- als auch in sonstigen Historien beliebig und ohne größere Aufwände vorgefunden und nachvollzogen werden.

Etwas verzwickter wird es, wenn wir einen Blick auf den Amateur- und Breitensport werfen, der sich in den letzten Jahren durchaus auch einen Namen im Bereich der unerlaubten Hilfen in der Leistungssteigerung gemacht hat. Das reicht von der billigsten Variante des Einnehmens irgendwelcher Schmerzmittel bis hin zum Erwerb und der Verwendung teuerster Dopingpräparate, bei denen wohl selbst ein Doktor Fuentes inzwischen neidisch werden würde, oder aber auch das illegale technische Tuning des eigenen Sportgerätes.
Sehr schnell stellt sich hier die Frage: Warum zum Teufel? Als Amateur oder Breitensportler muss ich keine Rechnungen von irgend welchen Prämien oder Sponsorengeldern bezahlen oder mich darum sorgen, dass bei schlechten Ergebnissen nur noch billigstes Essen auf dem Tisch steht, da das Geld für etwas Ordentliches fehlt. Eher im Gegenteil – ich zahle einen Haufen Kohle um irgendwo mitmachen zu dürfen. Warum muss ich meinen Körper und/oder auch mein Gewissen mit einem solchen Ballast beladen? Ich habe doch trainiert, um zu wissen, was ich leisten kann, um zu wissen wie gut ich bin und an welche Grenzen ich gehen kann und nicht darum, um herauszufinden, wie gut der Pharma-Konzern gearbeitet hat. Egal ob mit Epo oder Aspirin, am Ende werde ich nie wissen, ob und vor allem wie gut ich war oder hätte sein können.
Sperrt man dann ein wenig die Ohren und auch die Augen auf, wird aber sehr schnell eine “Argumentationslinie” deutlich: “Die anderen machen es ja auch und damit man eine Chance hat spiele ich halt mit.” Grob gesagt, der gleiche Bullshit, wie bei den Profis. Aber, und das ist der entscheidende Unterschied, hier geht es nicht um Geld oder Marktwert, sondern einzig und alleine ums eigene Ego, es geht um den totalen Selbstbetrug. “Die Anderen” können das, da muss ich unbedingt mithalten könne, egal unter welchen Umständen. Wenn ich nicht mithalten kann, werde ich immer und überall abgehängt, “die Anderen” sind die Erfolgreichen, ich der Loser, der kann einen Marathon finishen, dass muss ich auch, der ist ein Ironman, das brauche ich auch in meinem Lebenslauf, etc. pp.
Wir leben in einer Zeit, in der sich ein Großteil von uns immer stärker in Relation zu seinen Mitmenschen definiert und immer weniger über die eigenen persönlichen Stärken und Schwächen, das altbekannte “Mein Auto, mein Haus, mein Boot”-Syndrom. Es reicht uns nicht, dass es uns gut geht, wir wollen, dass es uns besser geht, besser als dem Kollegen, dem Nachbarn oder dem Sportkameraden. Und wenn es der Körper nicht hergibt, den Marathon, den der Kollege aus Büro C5 bereits erfolgreich gelaufen ist, selber zu bewältigen, weil man bei Kilometer 30 vor Schmerzen fast stirbt, dann wird halt mit Paracetamol nachgeholfen. Und wenn der Vereinskamerad bereits die 3:30h unterboten hat, dann muss man dass selber ja auch auf Teufel komm raus schaffen, oder der Status-Verlust im eigenen sportlich und sozialen Umfeld ist garantiert – so glaubt man zumindest.
Ob es den Kollegen oder den Sportkameraden interessiert, dass man nun besser oder genau so gut ist, ist unerheblich. Denn man selbst hat sich bewiesen, dazuzugehören. Das eigene Ego ausgetrickst und poliert. Denn man hat doch die Leistung erbracht, mit den Mitteln, die einem zur Verfügung stehen. Und eigentlich ist es ja auch nicht schlimmer, als der ein wenig frisierte Lebenslauf bei der Bewerbung, oder? Oder vielleicht die etwas modifizierte Steuererklärung? Und überhaupt, es ist ja nur Sport, die anderen sind garantiert auch nicht clean und somit ist es wenigstens ein fairer Wettkampf…
Die haarsträubend relativierenden Beispiele für Selbstbetrugsversuche ließen sich vermutlich noch über Seiten ausführen, ändern aber an der Quintessenz nichts:

Egal, wie man es dreht und wendet, letztendlich bleibt es nur eines: Selbstbetrug. Es hat überhaupt keine Relevanz, ob “die Anderen” in irgend einer Weise nachgeholfen haben oder nicht. Jede Art der Rechtfertigung vor einem selber, ist nur eine Verar***e des eigenen Egos. Denn eines werde ich als Doper nie erfahren: “War wirklich ich so gut oder hat nur ein Chemiker einen verdammt guten Job gemacht”…und eigentlich stellt sich für einen echten Sportler, egal in welcher Sportart, immer nur eine Frage am Wettkampftag: “Wie gut bin ich wirklich!”

In diesem Sinne
Bleibt sauber!

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