Wie man sich einen Klimawandel ergoogelt

Ich gebe zu: die gewählte Überschrift ist wohl provokant, zumindest in der heutigen Zeit. Der Leser mag angesichts dieser Formulierung schon wieder an Fake News, alternative Fakten und Klimawandelleugnung denken und bereits die argumentative Artillerie in Stellung bringen, um das hier geschriebene in Stücke zu schießen. Mit diesem Beißreflex muss man heutzutage wohl leben, von daher möchte ich dem geneigten Rezipienten von vorne herein versichern, dass es genau darum nicht geht. Also dreimal tief durchatmen und sich dann einer vielleicht noch viel unbequemeren Wahrheit stellen…

Der diesjährige Klimagipfel ist noch nicht einmal richtig Geschichte und schon überschlagen sich auf sozialen Plattformen, Foren und Blogs wieder Beiträge zur unmittelbar morgen früh eintretenden Klimapokalypse. Der Tenor ist allgemein bekannt, die Menschheit hat es mal wieder verkackt und wenn wir nicht innerhalb von 24 Stunden sämtlichen CO2-Ausstoß im Kern ersticken (hoho), werden wir alle untergehen. Da wird dann stolz und im Brustton der Überzeugung runtergebetet, zu welchem Verzicht man doch alles bereit ist und wie man sich doch selber geißelt um dem Klimawandel entgegenzuwirken (sinngemäß: “Ich unterstütze die Massentierhaltung nicht, ich bestelle meinen hochqualitativen Schinken in Spanien bei einem Spezialitätenversandt” – ist klar, merkste selber, oder?). Richtig absurd wird es dann, wenn solche Diskussionen zum Beispiel in einem Triathlon-Forum geführt werden, wo sich Menschen rum treiben, die wohl rein vom ökologischen Fußabdruck her eine der am wenigsten umweltfreundlichen Sportarten schlechthin ausüben dürften (man fliegt in Trainingslager, lässt sich High-End-Gadgets aus aller Welt herbeischiffen und über den Footprint der Logistik eines Ironman- oder Challenge-Rennen möchte ich gar nicht erst nachdenken).
Natürlich sind die primären Klimasünder sofort ausgemacht: Flug- und Schiffsverkehr, zunehmender Autoverkehr (und natürlich ganz besonders die bösen SUV-Fahrer), Massentierhaltung und die Verweigerung vegetarischer Lebensgewohnheiten, die Weigerung schneller aus der Kohlekraft aus zusteigen, etc. pp… Den meisten Lesern dürfte diese Aufzählung geläufig sein. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht anzweifeln, dass hinter all dem einiges an Wahrheit steckt, jedoch leider auch mal wieder eine gehörige Portion Bigotterie.

Es wird nämlich gerne vergessen, dass man zum diskutieren und weltverbessern sich gerade selber eines ökologisch hoch brisantem Mediums bedient. Und auf dieses wollen wir alle wohl nicht mehr verzichten. Smartphones, Tablets, PCs, Social Media, Blogs, Foren und vor allem (Google) Suchanfragen – all dass sind Dinge die Datenverkehr produzieren und dies nicht zu knapp. Und auch wenn der Datenverkehr die Treibhausgase nicht direkt in die Atmosphäre bläst, so ist er doch aktuell für den Ausstoß von etwa 2% des Gesamtvolumens eben dieser verantwortlich (Every Google search results in CO2 emissions. This real-time data viz shows how much).
Das hört sich überschaubar an, ist aber in etwa die gleiche Menge, die auch die gesamte Luftfahrtindustrie pro Jahr produziert. Prognosen für die kommen Jahre gehen davon aus, dass dieser Ausstoß mit weiterhin zunehmender Digitalisierung sich auf 3-4% erhöht. Das wäre eine Verdoppelung und da schafft es dann nicht mal der Flugverkehr trotz optimistischer Wachstumsprognose mitzuhalten. Da mutet es schon ein wenig absurd an, dass man in Firmen gerne die Videokonferenz als ökologisch probates Mittel gegenüber dem persönlichen Meeting und den damit verbundenen Reiseaufwänden propagiert.
Das mag auf den ersten Blick eventuell sogar richtig sein, die Tatsache dass das scheinbar ökologischere Modell dann aber gedanken- und bedenkenlos wesentlicher extensiver genutzt wird (gefühlt hängt man heutzutage bei großen Unternehmen ja in Dauer-Skype- oder Videokonferenzen) zeigt halt doch wieder recht deutlich ein Muster, auf dass wir immer und immer wieder reinfallen: Wenn es zu abstrakt wird oder die Konsequenz es erfordert, eine Ecke weiter als üblich zu denken, sind wir im Allgemeinen überfordert.
Der Strom kommt eben nicht aus der Steckdose und nur weil etwas elektrisch und nicht mit Verbrennungsmotor (oder ähnlichem) betrieben wird, ist es nicht automatisch ökologisch und schon gar nicht klimaneutral. Indirektionen, die abstrakte Ideen wie Datenströme auf Umweltbelastung abbilden, sind dann für viele überhaupt nicht mehr zu begreifen und die Tatsache, dass das normale monatliche Google-Verhalten oder auch der Klick auf den Facebook-Like-Button dafür ausreicht, das Schadstoffäquivalent einer Autofahrt von ein bis zwei Meilen zu produzieren, lässt am Ende wohl die Synapsen eines jeden radikalen Umwelt-Radlers kollabieren.

Was heißt dass also im Umkehrschluss?
Letztendlich doch nur folgendes: Dieses andauernde Finger-Pointing auf die vermeintlich Schuldigen, dass ständige Isolieren, Runterbrechen, Simplifizieren auf scheinbar Offensichtliches, hilft in dieser ganzen Diskussion nur bedingt. Es sind nicht die Flugreisenden oder die Schiffsfahrenden, nicht die Diesel- oder SUV-Fahrer, die Fleischesser oder die Touristen, auf die man zeigen kann, weil man selber glaubt, alles richtig zu machen, während man seinen moralisierenden Beitrag für Facebook oder sonst eine Plattform verfasst. Wir könnten genauso gut einfach das Datenvolumen, dass einem Nutzer im Monat zusteht auf einen Gigabyte oder weniger reduzieren (inklusive Musik- oder Video-Streaming), die Anzahl der Suchanfragen, überhaupt die Anzahl der datenkonsumierenden- und produzierenden Geräte pro Haushalt und pro Unternehmen (was dann natürlich wieder zu einem erhöhten Datenaustausch über analoge Wege führt – Post, Auto, Dienstreisen, was dann wiederum…usw. usf.)
Da ist dann dass Geschrei aber auch wieder groß (erstaunlicherweise meistens auch von denen, die ansonsten gerne den Verzicht predigen), meistens mit dem Hinweis und großen Klagelaute über die Tatsache verbunden, dass Deutschland ja sowieso digitales Brachland ist, weil wir es nicht mal schaffen, flächendeckende Mobilfunktnetzabdeckung mit Highspeed-Internet anzubieten. Irgendwie schon sehr verlogen, oder?

Es ist nicht damit getan, dass wir nur verlangen auf dieses zu verzichten und jenes abzuschalten oder abzuschaffen (vorzugsweise natürlich immer das, was uns selber am wenigsten stört und am wenigsten beeinträchtigt). Genauso wenig können wir verlangen, dass andere ihr Streben nach dem gleichen Lebensstandard, wie wir ihn haben, aufgeben. Es ist immer einfacher Verzicht genau dann zu üben, wenn man bereits viel hat.

Was bedeutet das am Ende? Vermutlich nur, dass wir die Büchse der Pandora so erstmal nicht mehr zubekommen. Nicht damit, dass ständig bei irgend welchen Klimakonferenzen irgend welche abstrakten Ziele mit teilweise wüst aktionistischem Handeln eben nicht eingehalten werden können. Auch nicht damit, dass wir die Moralkeule schwingen und glauben, dass wir bei unserem Handeln die Übersicht haben, welche Folgen es für wen oder was hat. 
Hätte ich eine Lösung für dieses Problem, dann würde ich nicht hier sitzen und diese Zeilen schreiben. Vielleicht müssen wir auch einfach mal hinnehmen, dass wir jetzt aktuell und in diesem Moment noch keine Lösung gefunden haben, wie wir  mit dem Klimawandel umgehen sollten. Das einzige was ich weiß ist, dass die Antworten auf die komplexen Fragen eben nicht so einfach sind wie “E-Auto, Fleisch-Verzicht, Ökostrom”, denn wenn man sich immer nur auf das scheinbar Offensichtliche konzentriert, rutscht einem vielleicht auch mal die nicht ganz so offensichtliche Antwort und damit eine mögliche Lösung durch die Finger.

In diesem Sinne,
be responsible and think before you google…